Esel
nicht, wohin.
Ich schaue auf das Hinterteil eines nassen Esels, während meine Lehrerkollegen in der Toskana sind, auf einer Baleareninsel oder irgendwo in Skandinavien zum Mückenzählen. Oder, wenn sie nicht unterwegs sind, dann bauen sie sich einen Schwimmteich im Garten, dessen Gesamtkonzeption und Kalkulation ein komplettes Schuljahr in Anspruch genommen hat.
Mein Schwimmteich heißt Uckermark, die Konzeption hat meine Frau übernommen. Wie langfristig, kann ich nicht beurteilen. Ich bin kurzfristig überrascht worden, das steht fest.
Ich latsche hinter einem Esel her, dem dieses Schweinewetter und seine verheerenden Wirkungen auf die Landschaft und Natur nichts auszumachen scheinen und der sich seit einiger Zeit noch nicht mal mehr zu mir umdreht.
Vor meinem Esel läuft Sabine, die ihrerseits Inge verfolgt. Immerhin reden wir nicht zusammen, aber wir wandern weiter zusammen. Herzlichen Glückwunsch, Björn, du bist ein Teufelskerl. Der Frau hast du es aber mal so richtig gezeigt, sauber.
Sabine hat seit zwei Stunden nichts gesagt, sich genauso wenig zu mir umgedreht wie Friedhelm. Wahrscheinlich ist sie sauer. Ich will es gar nicht so genau wissen, es reicht zu wissen, wie inkonsequent ich bin. Und wie unsagbar feige. Ich schäme mich dafür.
Der Regen wird stärker. Ein Weg vor uns ist kaum noch zu erkennen. Um uns herum regiert eine grauschwarze Landschaft, aus der irgendjemand sämtliche Farbe herausgezogen hat. Himmel und Erde bilden keinerlei Kontrast mehr. Norden, Osten, Süden, Westen, alles ist eins, so scheint es. Die Uckermark ist eine schwarzweiße Ursuppe, die den Horizont aufgefressen hat und sich einen Dreck um geophysikalische Gesetze schert. In den lokalen Wetternachrichten muss der Begriff Armageddon gefallen sein. Alles andere wäre untertrieben.
Ich versuche, das Geräusch meiner Schritte mit den Hufgeräuschen von Friedhelm zu synchronisieren, damit wenigstens meine Gedankenwanderung eine Richtung und einen Rhythmus bekommt.
Zweimal schwapp, schwapp … viermal pflotsch, pflotsch.
Schwapp, schwapp. Pflotsch, pflotsch.
Ich schaue auf den Boden, und plötzlich stehen zwei kleine schwarze, lehmverschmierte Stumpen vor mir. Aus den Stumpen, die im morastigen Lehmweg versinken, tauchen zwei kalkweiße, untrainierte Beine auf, die auf Kniehöhe in einer umgekrempelten Hose verschwinden. Die schwarzen Stumpen sind Wanderschuhe und als solche nur zu erahnen. Aber ich weiß, dass es Wanderschuhe sein müssen, denn es sind Sabines Stumpen.
Sie hat sich vor mir aufgebaut. Zwischen uns schafft es nur noch der Regen, einen Hauch von Grenze zu ziehen.
»Was habe ich dir getan, Björn? Ich frage mich das die ganze Zeit. Was?«
Ich schaue in ihr Gesicht, und ich hoffe, es war nur der Regen, der ihr Make-up und den schwarzen Wimpernstrich so willkürlich verschmiert hat, als gälte es, heute Abend den Joker in einer neuen
Batman
-Verfilmung zu geben.
»Was, Björn?«
»Wie meinst du das?«
»Meinst du, ich merke nicht, dass du eigentlich gar keine Lust hast, mit mir zu gehen. Meinst du das? Hast du eine Vorstellung, wie ich mich fühle? Ich habe dir doch nichts getan, oder habe ich dir was getan? Hab’ ich? Sag! Hab’ ich?«
»Unsere Waschmaschine ist kaputt.«
»Was?«
»Unsere Waschmaschine, unsere erste gemeinsame Waschmaschine«, wiederhole ich, was als Antwort auf ihre Frage weder vernünftig noch angemessen klingt.
»O mein Gott.«
Sabine sagt das nicht mit dem Ausdruck des Entsetzens. Nein, da schwingt aufrichtiges Bedauern mit. Unfassbar. Was ist denn bloß los mit dieser Frau? Das ist doch nicht normal. Die macht mir Angst, solche Frauen nehmen irgendwann Geiseln. Mindestens.
»O mein Gott!«
Sabine wiederholt sich und legt jetzt auch noch als Verstärkung ihrer empathischen Betroffenheit ihre rechte Hand auf den Mund. »Das ist ja furchtbar«, ergänzt sie.
»Tut mir leid, du weißt wahrscheinlich gar nicht …«, versuche ich gegenzusteuern.
»Doch. Natürlich.«
Nein, das kannst du nicht wissen, und ich habe dir ja auch noch nicht mal gesagt, was du nicht wissen kannst. Aber Sabine weiß es dennoch. Sie ist natürlich nicht nur im Besitz einer Stimme, die töten kann, nein, sie ist zudem auch noch eine lebendige Kristallkugel, eine Hellseherin, Miss Kaffeesatz.
»Die Waschmaschine war der Beginn eurer Beziehung und jetzt, wo sie kaputt ist, geht etwas zu Ende, und du hast Angst davor, dass damit mehr zu Ende geht als nur ein Kapitel eurer gemeinsamen
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