Esel
Geschichte.«
Ich starre sie an.
Selbst Friedhelm und Inge haben sich umgedreht, als hätten sie soeben die Wiedergeburt von Franz von Assisi entdeckt, der nun zu ihnen spricht.
»O Gott, Björn, das tut mir so leid. Warum hast du denn nicht schon vorher mal was gesagt? Wie lange quälst du dich schon?«
Ich zucke mit den Schultern wie ein kleiner Junge, der die Suche nach seinem verlorenen Teddy aufgegeben hat. Sabine muss ein Profiler sein, eine Schamanin, irgendwas in dieser Richtung.
»Möchtest du darüber reden, Björn?«
Nein, ich möchte nicht darüber reden, auch wenn deine Stimme jetzt seltsamerweise angenehmer klingt als sonst. Der monotone Dauerregen hat ein akustisches Wunder vollbracht. Egal, ich werde trotzdem nicht über meine Beziehung reden, nicht mit einer Frau, mit der ich unter normalen Umständen noch nicht mal über das Wetter reden würde.
Nein! Nein! Nein!
»Gerne, Sabine«, sage ich.
»Reden tut gut.«
»Ja.«
Was ist denn jetzt los, ich will nicht mit ihr reden. Verdammt!
»Und ich Dummkopf habe die ganze Zeit gedacht, dass du mich nicht leiden kannst.«
Das stimmt auch. Und wie ich dich nicht leiden kann.
»Dabei hast du die ganze Zeit nur das Problem mit deiner Waschmaschine und deiner Frau im Kopf.«
Das stimmt leider auch.
»Vielleicht sollten wir uns mit den Tieren ein wenig unterstellen. Da hinten ist ein Stall, sieht unbewohnt aus, sollen wir?«
Jesus und Maria in der Uckermark? Ohne mich! »Gute Idee.«
Ich sage ständig das Gegenteil von dem, was ich denke. Sind das Strahlen, liegt hier vielleicht ein alter, vergrabener Atommeiler aus DDR -Zeiten?
»Die Esel binden wir davor an, ja?«
Nein! Nein! Nein! Wir binden hier niemanden davor an. Wir gehen weiter. Ich will jetzt nur noch trockene Klamotten, ein warmes Essen und ein Zimmer. Für mich allein!
»Gut, lass uns gehen«, sage ich.
Sabine nimmt Inges Zügel und drückt mir die von Friedhelm in die Hand. Dann rennen wir alle zum Stall.
Pflotsch. Pflotsch. Pflotsch.
Jetzt sind wir alle synchron, die Esel und Sabine und ich.
Ich bekomme Angst vor dem, was passieren wird. Ich bin ein führerloses Segelboot, das auf einer windgepeitschten Seenplatte in der Uckermark treibt, das rettende Ufer von Plötzen noch weit, während der Stall immer näher rückt.
Pflotsch. Pflotsch. Pflotsch.
Während ich renne, blicke ich zu Friedhelm, der mich anlächelt. Kein Scheiß. Er lächelt, und wenn er jetzt noch was sagt, dann bin ich endgültig dem Wahnsinn verfallen.
»Schnell, wir sind gleich da!«, brüllt Sabine gegen den Regen an.
»Ich komme.«
Wenigstens hält Friedhelm sein Maul. Er spricht nicht mit mir, er lächelt nur.
Kein Problem, ein bisschen Wahnsinn ist nicht schlimm. Ich bin Lehrer, da gehört ein bisschen Wahnsinn dazu.
Pflotsch. Pflotsch. Pflotsch.
Der Stall kommt immer näher. Plötzlich beginnt Friedhelm zu schreien. Es kann alles bedeuten. Es kann ein Angstschrei sein oder eine eselige Jubelattacke.
»Guck mal!«, brüllt Sabine und zeigt zum Stall.
»Was denn?«
»Da!«
Friedhelm beschleunigt. Wenn ich jetzt noch versuchen würde, weiter mit ihm synchron zu sein, würde ich mir die Beine brechen. Ich strauchele. »Friedhelm!« Ich schreie, während mich Friedhelm durch einen Matschpfad schleift.
»Björn, lass den Strick los!«
Wie denn, ich habe ihn ja schön ums Handgelenk gebunden.
»Björn, lass los!«
Mit der Geschwindigkeit einer Regionalbahn werde ich durch den finsteren Wald gezogen. Nur noch wenige Meter bis zum Stall. Der Strick gräbt sich in mein Handgelenk. Aua. Aua. Aua.
Friedhelm ist jetzt definitiv nicht mein Freund. Ich bin ihm egal. So egal, dass es ihm noch nicht mal etwas ausmacht, mich durch den Schlamm zu ziehen und mir Schmerzen zuzufügen. Wir schießen an Inge und Sabine vorbei, mühelos, mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Da, noch ein Schrei. Diesmal nicht von Friedhelm.
»Björn, lass los!«
»Wie denn?«
»Lass los!«
Jetzt schreit wieder Friedhelm.
Wenn er den Stall nicht sieht, wird es mein Ende sein.
»Vorsicht, der Stall! Lass los! Bjööööööööörn! Lass los!«
Kurz bevor Friedhelm mit mir in die Holzfassade des Stalls rast, kommt er zum Stehen. Mein Arm scheint länger geworden zu sein, gefühlte Meter. Es gelingt mir, den Strick abzumachen meine Augen vom Schlamm zu befreien. Und dann sehe ich den Grund von Friedhelms Schrei.
Neben dem Stall ist ein fremder Esel angebunden. Friedhelms Euphorie nach muss es eine Eselin sein.
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