Esel
keine Frage«, sagt Markus.
»Okay, ich versuch’s mal.«
Markus hat eine sehr überzeugende Art, Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Er wäre ein guter Lehrer, theoretisch.
Markus geht zurück zu den anderen. Ich stelle mir vor, dass die anderen Kollegen von ihm sind. Manche entlassen, die anderen auf Freigang. Wie Flüchtige sieht keiner von ihnen aus.
»Kennst du die anderen?«, frage ich.
»Nee.«
»Komisch, dass keine einzige Frau dabei ist.«
»Jetzt, wo du’s sagst, stimmt, komisch.«
»Meinst du, die sind alle aus Perlau, ich meine, aus dem Kloster?«
»Keine Ahnung. O Mann, wie soll ich da bloß gleich langsamer fahren?«
»Frag mich nicht«, sage ich.
»Wir könnten an Land gehen.«
Ja, unbedingt, ich würde die nächste Toilette aufsuchen und dann verschwinden. Keine Ahnung, wie ich dann anschließend zur Mühle komme, aber das wäre das kleinste Problem. Hauptsache, ich bin weg von diesem Irren.
»Hallo?«
Steffen formt seine Hände zu einem Trichter. Es folgt eine Ansprache an die gesamte Floßbesatzung.
»Hat jemand Lust auf einen kleinen Landgang, wir kommen gleich an Perlau vorbei?«
Keiner der Männer scheint besonders begeistert davon zu sein. Auch Markus nicht.
»Von einem Landgang habe ich nichts gesagt«, stellt Markus fest.
»Okay, war nur eine Idee, kein Landgang, kein Thema.«
»Und jetzt?«, flüstere ich ihm ins Ohr.
»Ich weiß es nicht«, sagt Steffen und rudert hilflos mit den Armen.
Bis zu diesem Moment hielt ich Kapitäne für Männer mit ganz besonderen Fähigkeiten: Männer, die in Krisensituationen immer genau wissen, was zu tun ist, es sei denn, ein Eisberg taucht auf. Steffen ist ganz offensichtlich keiner dieser Kapitäne. Er ist ja auch nur ein Floßschiffer mit einer alten Mühle, die nicht richtig rund läuft.
Ganz unvermittelt reißt nun der Blick auf den Wald zur Linken ab. Eine breite Schneise wird sichtbar, und dann sehe ich das alte Kloster, das von einer hohen Sichtschutzwand umgeben ist. Zwei Wachtürme säumen das Panorama. Und der Stacheldraht, der die obere Kante der Sichtschutzwand kleidet, verrät, dass hinter diesen Mauern nicht mehr gebetet wird und wenn, dann nur um die Wiederaufnahme eines Verfahrens oder Hafterleichterungen.
Markus ist jetzt wieder bei mir. Diese Impressionen möchte er wohl nur mit mir teilen. »Hammer, oder?«
»Äh, was genau?«
»Der Knast, was sonst?«
Während ich hier allein mit Markus sitze, fällt mir dummerweise ein, dass ich Steffen erzählt habe, dass ich ein Lehrer bin und dass Markus das niemals erfahren darf, weil er doch so schlimme Erfahrungen mit ihnen gemacht hat.
Gibt zwei Berufe, da krieg’ ich sofort ’n Puls! Bullen und Lehrer. Bei Lehrern noch mehr. Lehrer sind das Letzte,
seine Worte. Steffen ist der Einzige auf diesem Floß, der meinen Beruf kennt, und er muss der Einzige bleiben, so viel steht mal fest. Ich könnte ihn in den Fluss schubsen, das hätte Steffen nicht verdient, aber die Gefahr wäre gebannt. Aber wer bringt dann das Floß zum Stehen. Ich nicht. Ich kann es gerade mal auf Kurs halten.
Ich werde nervös. Jetzt an etwas Schönes denken. Ferien, ja. Oder besser noch, die Vorfreude auf Ferien, die währt länger. Es funktioniert, ich denke an die schönste Zeit im Jahr … und dann denke ich plötzlich … das ist aber jetzt gar nicht schön … daran will ich nicht denken. Nein, nicht jetzt!
…
31. Vier Wochen vor den großen Ferien und keine Ahnung
»Im Odeon läuft der neue Fatih Akin, sollen wir?«, fragte Karin.
»Welcher?«
»Der neue, hab’ ich doch gerade gesagt.«
»Wieder so eine langweilige Ethnokiste?«
»Ja oder nein?«
»Nein. Ich muss noch –«
Bevor ich ausreden konnte, hatte sie schon einen Kommentar: »Okay.«
Ich blickte von den Zeugnissen auf, die ich so gerne bearbeitete wie eine asbestverseuchte Trennwand im Hochsommer.
Karin hakte nicht nach, kein Überreden, kein
Warum
, kein
Och, bitte
, nichts. Im Grunde war es mir recht, ich hasse Überredungsversuche jeglicher Art. Daran hat sich nichts geändert. Entscheidungen fällt man, sie zu diskutieren macht aus Entscheidungen nur unverbindliche Angebote. Aber um ehrlich zu bleiben, solche Gedanken behielt ich von Anfang an für mich.
»Diese Zeugnisse machen mich wahnsinnig, jedes einzelne ist eine gigantische Lüge. Eine Illusion mit Schulsiegel. Ich bin Lehrer, kein Fälscher. Gegen mich hat der Typ, der Hitlers Tagebücher gemalt hat, das
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