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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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eigentlich die Toilette?
    Die anderen scheint es nicht zu interessieren, im Gegenteil. Sie drängen sich um das Bierfass, das in der Mitte des Floßes aufgebaut wurde und nun den anbetungswürdigen Mittelpunkt eines Kreises aus durstigen Männern bildet.
    »Sie auch ein Bier?«
    Steffen, Gundulas Mann, meint mich. Immerhin bin ich der Einzige, der vom Floßkapitän persönlich angesprochen wird. Vielleicht ist das eine Ehre, vielleicht aber auch nur eine höfliche Geste, die im stolzen Fährpreis von 8,90 Euro mit drin ist. Egal.
    »Hallo, Sie auch ein Bier?«, wiederholt Steffen seine Frage.
    Ich zögere, ich würde wirklich gerne vorher wissen, was man macht, wenn man muss, bevor ich aktiv dafür sorge, dass ich muss.
    »Ja, gerne«, antworte ich.
    Was? Ich war noch gar nicht fertig mit meinem Zögern!
    Die Uckermark hat mich verändert. Seit ich hier bin, sage ich nicht mehr das, was ich denke. Eine Fremdsteuerung hat sich meiner bemächtigt. Schlimm finde ich es nicht mehr.
    Aber Bier ist Bier, und Toilette ist Toilette, und noch
muss
ich ja nicht.
    Für mich ist diese Haltung schon fast ein Abenteuer, ich lasse mich nicht gerne treiben, ich muss wissen, was kommt. Das ist eine Lehrerkrankheit, wer nach Stundenplänen lebt und sie zudem noch selber macht, der wird zwangsläufig zu einem Stundenplan auf zwei Beinen. Das hat viele Vorteile, bringt aber nur wenige Überraschungen. Wer Überraschungen braucht, wird aber kein Lehrer.
    Eine Floßfahrt besteht nur aus Treibenlassen, aber so wie die Krassler sich vor uns abzeichnet, ist auch mit keinen Überraschungen zu rechnen. Sie verläuft schnurgerade. Am linken Ufer grünt der Wald und am rechten Ufer auch. Das wird sich nicht ändern. Die Krassler ist fließende Langeweile. Ein Fluss für Lehrer.
    Steffen reicht mir ein Bier.
    »Kommt aus Perlau, das brauen die da im Kloster.«
    »Die Mönche verstehen was von Braukunst.«
    »Sind keine Mönche, sind Knackis.«
    »Was?«
    »Die haben schon vor der Wende das Kloster plattgemacht und zum Knast umgebaut. Na ja, im Grunde hat sich nicht viel geändert. Die Schlösser wurden nur ’n bisschen dicker.«
    »Trotzdem lecker.«
    »Ja, getrunkene Resozialisierung.«
    »Schön formuliert.«
    »Woanders machen sie Jeans.«
    »Wie?«
    »Die Knackis. Hab’ ich gelesen. In den USA .«
    »Stimmt, hab’ ich auch mal gelesen.«
    »Steffen.« Er reicht mir die Hand.
    »Björn.« Wir schütteln uns die Hände.
    Das Bierfass ist aus meinem Sichtfeld verschwunden. Der durstige Männerkreis hat es nun sorgfältig abgeschirmt.
    »Musst du nicht steuern?«, frage ich.
    »Nö, das Floß kennt seinen Weg.«
    Nur um sicher zu sein, dass es wirklich seinen Weg kennt, schaut er noch mal zum arretierten Ruder, einem langen Stamm, der in einer Art Scherenbock verankert ist.
    »Willst du mal?«
    »Was?«, frage ich.
    »Ans Ruder?«
    »Einfach so?«
    »Klar.«
    Warum nicht, vielleicht macht es Sinn, mal ans Ruder zu kommen, nach allem, was mir passiert ist. Obwohl – warum soll ich mich an ein Ruder stellen, wenn es nichts zu steuern gibt? Ich habe mir die Frage gerade erst gestellt, da sitze ich schon neben dem Stamm. Eine Hand führt das Floß, die andere hält das Bier. Das Leben kann so einfach sein.
    Steffen kümmert sich wieder um die anderen Gäste, die noch immer das Fass belagern, während ich mich über meine Beförderung zum Floßkapitän freue und nun keinen Gedanken mehr an das Thema Toilette vergeude und erst recht nicht an … na ja, das hatten wir ja schon.
    Unglaublich, wie schnell man beginnt, sich in ein sich ständig wiederholendes Bild zu verlieben. Das Wasser bleibt Wasser, das Ufer bleibt Ufer, und der Wald, links und rechts, bleibt Wald. Jeder Meter bleibt gleich. Blau und grün. Und ich fühle mich plötzlich glücklich. Einfach so. Mit einem Stamm in der Hand und einem Bier. Himmel, das ist es. Für den Augenblick. Alles andere zählt nicht. Endlich nur der Moment, nicht das, was kommt oder war. Björn Keppler, da passiert was mit dir. Und es tut dir gut. Prost, Björn.
    »Alles gut?«, will Steffen von mir wissen, ich habe gar nicht gemerkt, dass er wieder zurückgekommen ist.
    »Klar, super«, sage ich wahrheitsgemäß.
    »Sieht man.«
    »Wie?«
    »Du hast so gegrinst.«
    »Echt?«
    »Ja.«
    »Macht Spaß.«
    Steffen setzt sich zu mir, und einen kleinen Moment habe ich Angst davor, dass er mir das Ruder wieder abnimmt. Unnötigerweise.
    Wir schauen den Männern zu, die sich mehr mit ihrem Bier beschäftigen als

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