Esel
Copyright auf Echtheit. Wie hieß der noch mal?«
»Keine Ahnung«, sagte Karin frostig genug, um ihre Stimmung erkennen zu können, was mir leider aber erst viel später klar wurde.
»Kujau, genau … Konrad Kujau … KK … auch schon tot, glaub’ ich.«
Sie hätte mich bewundern können, für mein Allgemeinwissen, sie tat es nicht, war eigentlich auch nicht nötig. Kujau muss man nicht kennen.
»Eigentlich kein schlechter Maler, hätte ich nicht abgelehnt, so’n Bild von dem.«
»Mhm.«
Dafür hätte ich liebend gerne diese pseudopädagogische Beschäftigungsmaßnahme abgelehnt, die sich vor mir türmte. Zweimal im Jahr musste ich diesen Mist machen. In meiner Freizeit! Ja, ich gehöre zu den Lehrern, die bei allem, was nach der sechsten Unterrichtsstunde passiert, von ihrer Freizeit sprechen. Nein, ich arbeite nicht zu Hause, wie es der überwiegende Teil meiner Kollegen und Kolleginnen behauptet.
Nein! Nein! Nein!
Ich behaupte zwar, dass ich ein Arbeitszimmer beim Finanzamt absetzen muss, weil ich 50 % meiner Arbeit außerhalb der Schule absolviere. Und ich gehöre auch zu den Beamten, die bereit wären, für diese steuerliche Absetzbarkeit bis nach Karlsruhe zu marschieren. Aber die Wahrheit ist: Ich bereite mich nicht zu Hause auf meinen Unterricht vor. Selbst wenn ich zu Recht ein Arbeitszimmer hätte, käme ich nicht auf die Idee. Weder aus steuerlich relevanten noch sonstigen Gründen. Ich muss mich nicht mehr vorbereiten. Die paar Minuten auf dem Weg zur Schule reichen völlig, um mir klarzumachen, dass sich an der englischen Grammatik und den englischen Vokabeln in den letzten Jahren nichts geändert hat. Im Fach Geschichte verhält es sich ähnlich. Alles, was nach 1989 passiert ist, findet in meinem Unterricht gar nicht statt. Weimarer Republik, Französische Revolution, Mittelalter, Marshallplan, Xerxes, Napoleon, Canossa, Alexander der Große, das Römische Reich. Gibt es da was wirklich Neues? Nein! Was sollte ich denn dann dazulernen? Weiterbildung? Lächerlich. Es gibt nur zwei Gründe für einen Lehrer, um bei Weiterbildungsmaßnahmen mitzumachen: die Suche nach einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin aus dem Kollegium oder die Flucht vor dem bereits existierenden Partner oder der entsprechenden Partnerin. Ich bin zufrieden mit Karin, ich brauche so etwas nicht. Und ich brauche erst recht keine Arbeit an Zeugnissen.
Demonstrativ schlug ich auf eines der frisch unterzeichneten Lügenblätter. »Das ist ein Witz, ein ganz schlechter Witz. ›Bildungsauftrag abgelehnt‹, das müsste ich schreiben. Aber was muss ich stattdessen schreiben? ›Ungenügend‹. Völlig beknackt.« Ich schlug noch einmal auf das Blatt, was Karin mit keinerlei Reaktion kommentierte. Kein Blick, kein Seufzen, kein Schulterzucken. Nichts. »Ungenügend ist noch übertrieben. Hier …« Ich zeigte ihr das Zeugnis eines ganz besonders unbegabten Schülers. »Mario Rommerskirchen … drei Fächer sechs … Rekord!«
»Mhm.«
»Kannst du dir vorstellen, was es heißt, so einen täglich vor sich zu haben? Wenn ich nicht Angst hätte, dass er mir irgendwann auflauert, um mir die Reifen zu zerstechen oder gleich direkt mich … ich hätte ihm auch die vierte Sechs gegeben. Der spricht ein Englisch wie eine Kaulquappe. Dem was beibringen zu wollen ist so aussichtsreich wie ein Geschäft für Tapetenverleih in Gelsenkirchen.«
»Mhm.«
Karin zog sich einen Espresso aus unserem Kaffeevollautomaten.
»Jetzt noch einen Espresso?«, fragte ich sie mit aufrichtigem Erstaunen.
Es war sieben Uhr abends, viel zu spät für einen Espresso. Karin und ich hatten vor einiger Zeit gemeinsam beschlossen, nach 16 Uhr keinen Espresso mehr zu trinken, aus gesundheitlichen Gründen und aus Angst vor schlaflosem Hin- und Herwälzen. Wir machten nur eine Ausnahme, wenn irgendwas anlag, was uns die Nacht über beschäftigte. Eine Party (selten!), ein Konzert (noch seltener!), die Fahrt zu ihren Eltern nach Rügen (total selten, dem Himmel sei Dank!).
Karin trank ihn hastig, ohne Zucker, sie suchte ganz offensichtlich nicht den Genuss, sondern einzig und allein die wachrüttelnde Koffeinoffensive.
»So!«, sagte sie.
»Wie, so?«
»Ich geh’ dann mal.«
»Wohin?«
»Ins Kino.«
»Du, ich möchte echt nicht, ich muss das alles hier bis Freitag fertig haben.«
»Kannst du ja.«
»Karin, äh … dann kann ich nicht ins Kino, verstehst du das?«
»Björn?«
Ich schaute sie an, lächelnd, so, als gäbe es Hoffnung
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