Esel
das nun unangenehm. Er geht ein paar Schritte von mir weg, dann dreht er sich um.
»Meine Mutter«, sagt er.
»Was ist mit deiner Mutter?«
»Hühnchen mit Pommes.«
»Wie?«
»Sie hat sie mir versprochen, damals, als ich das erste Mal in den Bau musste. Sie hat gesagt, wenn du rauskommst, gibt’s Hühnchen mit Pommes.«
Ich nickte, als würde ich selbstverständlich sofort verstehen, welches Kindheitstrauma seine Mutter mit diesem Versprechen ausgelöst hatte.
»Sie hat es nie gemacht, nicht beim ersten Mal, nicht beim zweiten Mal, nie. Scheiß auf Hühnchen mit Pommes. Verstehst du. Versprochen, nie gehalten. Nie! Scheiße!«
»Das ist natürlich ganz schön … ganz schön …«
Ja, was? Ganz schön doof, ganz schön daneben, ganz schön schön?
»Scheiße!«, sagt Markus.
»Genau, ganz schön scheiße«, wiederhole ich mit maximaler Empathie.
»Weißt du, wenn du im Bau bist, dann …«
Ich nicke schon wieder, völlig unangebracht.
»Warst du auch schon mal im Bau?«
»Nee, noch nie.«
»Warum nickst du dann so?«
»Nur so.«
»Ach so.«
Ich nicke weiter, damit es wirklich wie ein ›Nur so‹ aussieht. Und Markus fährt fort.
»Na ja, jedenfalls, wenn du im Bau sitzt, weißt du, woran du dann am meisten denkst?«
»Hühnchen mit Pommes.«
»Willst du mich verarschen?«
»Auf keinen Fall, warum sollte ich? Auf keinen Fall. Reg dich nicht auf. Keine Verarsche, ich schwöre.« Ich hebe tatsächlich die Hand, als gälte es hier, vor einem Mörder mit Heulkrampfambitionen meinen Beamteneid zu wiederholen.
»Was soll das?«
»Was?«
»Das mit der Hand, nimm die runter, das irritiert mich.«
Ich senke die Hand. Schnell, sehr schnell.
Markus grinst kurz, weil er sich endlich wieder überlegen fühlt oder was weiß ich.
Und er macht weiter mit seiner gedanklichen Exkursion in die Welt der Gefängnisse.
»Also, das, woran du am meisten denkst, wenn du im Bau sitzt, ist SEX !«
»Klar, logisch.«
»Was ist denn daran logisch?«
Diese Gegenfragen machen mich wahnsinnig. Gegenfragen tauchten in meinem Studium nicht auf.
»Ich dachte, weil du wenig Gelegenheit hast, deine Sexualität auszuleben, im Knast?«
»Sexualität ausleben, was erzählst du denn da für ’n Scheiß?«
Gegenfragen. Gegenfragen. Gegenfragen.
»Gibt doch keinen Sex im Bau.«
»Du hast null Ahnung.«
Woher soll ich Ahnung haben, ich saß noch nicht Bau.
»Wenn du ständig an Sex denkst, gibt’s auch ständig Sex.«
»Macht Sinn.«
»Soll ich dir sagen, wie –«
»Ähm, wärst du mir sehr böse, wenn wir das jetzt mal nicht so vertiefen? Ich meine, wenn es dir nichts ausmacht, Markus. Sex ist ja schon was Intimes, da muss man ja nicht alles ausdiskutieren … ich mein’, da muss man nicht ständig drüber labern.«
Habe ich da gerade labern gesagt? Björn, reiß dich zusammen, nur weil du vor diesem Menschen Angst hast, musst du nicht seine Sprache sprechen.
»Nee, drüber labern lassen wir mal. Hast recht.«
Ich wechsle wieder in meinen Nickmodus, diesmal sogar mit ehrlicher Absicht.
Markus verzichtet auf Details und bleibt theoretisch. Ein feiner Zug.
»Ich wiederhole: Das Erste, an was du morgens denkst, ist SEX , und das Letzte ist es auch. Sex! Sex! Sex!«
Mein Mund steht offen, zum Glück merke ich es sofort und schließe ihn abrupt.
»Und wenn du irgendwann mal nicht an Sex denkst, an was denkst du dann?«, will Markus nun wissen.
Ich wage einen zweiten Versuch. »Hühnchen mit Pommes.«
»Hör doch mal mit deinen scheiß Hühnchen mit Pommes auf.«
»Du, Markus, sei mir nicht böse, aber du hast davon angefangen.«
»Ich?«
»Ja.«
»Du musst mal genau hinhören. Du hörst nicht genau hin! Scheiße!«
Fürs Hinhören bin ich nicht zuständig. Ich bin Lehrer. »Tut mir leid, Markus. Was habe ich denn überhört?«
»Von Überhören habe ich nichts gesagt, ich habe gesagt, du musst mal genau hinhören. Überhören und nicht hinhören sind zwei Paar Socken.«
Schuhe, es heißt zwei Paar Schuhe. Und dass er mich hier korrigiert, macht mich ein bisschen sauer. Ein kleines bisschen. Nicht so sauer, dass ich drauf reagieren müsste. Um genau zu sein, nicht sauer genug, um mich zu trauen.
»Verstehst du das, Björn?«
Ich nicke, das traue ich mich.
»Also noch mal, an was denkst du, wenn du irgendwann mal nicht an Sex denkst?«
»Sag du’s!«
Genial, Björn, ein Gegenangriff, prima Idee! Du bist ein Akademiker, du hast es drauf. Respekt!
»An deine Mutter«, sagt nun Markus und
Weitere Kostenlose Bücher