Esel
nur am ersten Ferientag bin.
»Björn, kommst du mal?« Karins Stimme drang aus der Küche.
»Bin schon unterwegs, sollen wir gleich zum Italiener oder lieber selber was machen?«, rief ich ihr aus dem Flur entgegen, nicht ahnend, was gleich passieren würde.
Als ich die Küche betrat, traute ich meinen Augen nicht. Karin hatte ausgemistet. Wobei dieser Ausdruck nicht mal ansatzweise das beschreibt, was wirklich geschehen war.
»Na, da staunst du, was«, sagte Karin.
Nichts erinnerte mich mehr an die Küche, in der ich noch an diesem Morgen meinen Kaffee getrunken, meine Spiegeleier verzehrt und den kalten Tomatensaft genossen hatte, so wie jeden Morgen, außer am Samstag und Sonntag, da verzichte ich auf den Tomatensaft und genehmige mir einen frisch gepressten Orangensaft mit einem Spritzer Zitrone. Wo vor einigen Stunden noch Gemütlichkeit und organisatorische Genauigkeit geherrscht hatten, regierte nun das Chaos. Der Inhalt der Schränke stapelte sich auf dem Boden und dem kleinen Küchentisch. Die Schubladen waren leer, glänzten aber auffällig.
»Eigentlich wollte ich nur den Besteckkasten sauber machen, aber dann hat’s mich gepackt, dann hab’ ich alles ausgeräumt und angefangen. Bis eben noch. Italiener ist ’ne gute Idee. Ich hab’ tierisch Hunger.«
Mir war der Appetit vergangen. Ich starrte auf die zweite Schublade von oben, die mit dem Krimskrams, wie Karin immer sagte. Die Schublade, die mein Allerheiligstes aufbewahrte, die Schublade, die zur letzten Zuflucht geworden war, nachdem der Sekretär im Wohnzimmer Karin nicht mehr angemessen erschien, um meine kleine Sammlung zu beherbergen – meine einzigartige Sammlung kurioser Zeitungsanzeigen. Ich hatte alles gesammelt, was mir in die Hände fiel …
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So einen geballten Wahnsinn findet man nicht einfach so, da muss man am Ball bleiben, ein Leben lang. Mit jedem Jahr war meine Suche umfangreicher geworden. Darum hatte ich ja auch schon einen Kompromiss gemacht. Ich hatte mich von den Originalen getrennt, die mehrere Aktenordner füllten, und sie auf DVD s kopiert.
Und das soll alles umsonst gewesen sein?
»Wo sind die DVD s?«
»Welche?«
Karin wusste genau, was ich meinte, als ich mich auf den Inhalt der Schränke stürzte und ihn durchforstete, als gälte es, ein Erdbebenopfer zu finden.
»Karin, das ist nicht dein Ernst?«
»Björn, ich –«
»Sag, dass das nicht wahr ist.«
»Björn, ich –«
»Nein!«
Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Mir rannen die Tränen an meiner Wange herab, als hätte ich gerade erfahren, dass sich bei der Untersuchung eines harmlosen Eiterpickels ein Verdacht auf Hautkrebs ergeben hätte.
Karin brauchte einige Zeit, bis sie begriff, wie traurig ich war, und noch länger, um mich zu trösten. Es gelang ihr nicht. Nicht an diesem Abend und auch nicht am folgenden.
Ich habe zwar nicht durchgeheult, aber …
35. Der neue Weg
»… aber du warst sauer, schweinesauer?«, fragt Markus mich jetzt.
»Und wie.«
»Du hast merkwürdige Zeitungsanzeigen gesammelt?«
»Ja, ewig, seit ich lesen kann.«
Markus’ Augen sehen nun fast schon wieder normal aus. Während sich jetzt meine Augen ein ganz kleines bisschen mit Tränen füllen.
»Heulste?«
»Nein.«
»Doch.«
»Nein.«
»Nur wegen deiner Anzeigen?«
»Ich heule nicht.«
Ich sage es sehr energisch. Meine Angst und mein Respekt vor einem Mörder sind verschwunden.
»Wie kann man wegen ein paar Anzeigen weinen?«
»Wie kann man wegen Hühnchen mit Pommes weinen?«
Markus nickt, ich habe recht. Vielleicht ist ihm
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