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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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weint lauter.
    »Oder was anderes?«
    Markus weint noch lauter.
    War keine gute Idee von Gundula, jetzt wieder mit Essen anzufangen. Die beste Idee wäre, jetzt wirklich auszusteigen, um in der Luisenmühle weiter zu reden. Dort könnte ich mir dann auch eine frische Hose anziehen, denn meine ist pitschnass von den Tränen eines Mörders.
    »Markus, sollen wir nicht reingehen?«, schlägt Steffen vor.
    Ich bin mir nicht sicher, ob Markus’ Hinterkopf nun anders zuckt, vielleicht um dem Vorschlag Steffens zuzustimmen, oder ob er nur die Frequenz seiner Heulattacken erhöht hat. Ich wage es in jedem Fall nicht, mich zu bewegen.
    Jetzt hebt Markus seinen Kopf, und dort, wo ich seine Augen vermute, liegen zwei dicke, knallrote und geschwollene Hautklumpen, durch die ein bisschen das Blau seiner Iris schimmert. Dass Markus überhaupt blaue Augen hat, ist mir bis zu diesem Moment gar nicht aufgefallen.
    »Ja«, schluchzt Markus und gibt den Blick frei auf meinen nassen Oberschenkel. »Tut mir leid.«
    »Kein Problem, trocknet ja wieder.«
    »Was?«
    »Die Hose.«
    »Ich meine, dass ich geheult hab, das tut mir leid.«
    »Ach, macht doch nichts, kann ja mal passieren.«
    »Nein«, schluchzt Markus.
    »Doch«, entgegne ich.
    »Hast du auch schon mal geweint?«
    »Ich?«
    »Mhm …«
    »Klar.«
    »Ich mein’, nicht als Kind, als Erwachsener?«
    »Warum?«
    »Was?«
    »Warum hast du geweint?«
    Ich muss nicht lange überlegen …

34. Handarbeiter sucht gleichgesinntes Ehepaar
    Am Anfang einer Beziehung ist es egal, wer was mit in die Beziehung bringt. Es findet sich für alles ein Plätzchen, auch wenn es noch so geschmacklos und unnütz ist.
    Karins gerahmte Poster von Miró und Matisse fand ich so schön wie sie meine Freischwinger-Sessel, die ich nicht aus dem Baumarkt hatte, sondern eigenhändig renoviert und schwer erarbeitet. Es waren Originale! Eigentlich hasste Karin braune Möbel, aber bei diesen Sesseln machte sie eine Ausnahme. Sie fand sie wunderschön, jedenfalls schön genug, um sie nicht in den Keller zu tragen oder gleich auf die Straße.
    Am Anfang einer Beziehung streitet man sich nicht über die Wandfarbe im Wohnzimmer, die Fliesen im Flur, die Lampen im Schlafzimmer. Das Leben ist ein einziger Konsens. Was auch für Fragen der Innenarchitektur gilt.
    Aber irgendwann passiert es, dann bekommt alles einen neuen Anstrich. So als hätte der Gott der Liebe die rosaroten Brillen einkassiert und eine Ladung nüchterner Kontaktlinsen spendiert. Mit einem Mal sieht alles anders aus. Die Freischwinger sind plötzlich doch zu braun und passen eigentlich nicht zu dem weißen Wandregal. Im Gegenzug sind Miró und Matisse natürlich mega-out, und wenn sie es nicht sind, dann sind zumindest gerahmte Posterwerke von den beiden mega-out.
    Der Konsens ist nun da, wo auch die Leidenschaft der ersten Wochen und Monate sich hin verkrochen hat: irgendwo im letzten Winkel. Auf Wiedersehen, Romantik! Hallo, Wirklichkeit.
    Das Spiel der Mächte beginnt. Wer wird sich nun durchsetzen? Wessen Handschrift hinterlässt die meisten Spuren? Wer fordert, und wer verteidigt? Wer klagt an, und wer gibt auf? Wer hat die Hosen an, und wer zieht sie aus, und wenn beide die Hosen ausziehen, wem macht es dann am meisten Spaß? Es ist nicht so, dass dabei die Liebe auf der Strecke bleibt, sie ist nach wie vor da. Sie ist nur nicht mehr die alleinige Triebfeder des partnerschaftlichen Miteinanders.
    Als es passierte, waren meine braunen Freischwinger-Sessel noch nicht mal mehr im Keller, sie waren bei einem wildfremden Mann in Soest gelandet, der sie für einen lächerlich geringen Betrag bei eBay ersteigert hatte, von Karin, die keine Zeit hatte, auf ein höheres Gebot zu warten und gleich beim Eröffnungsgebot diesem Mann aus der Börde den Zuschlag erteilte.
    Als es passierte, weinte ich meinen geliebten Sesseln schon lange keine Träne mehr nach, denn schließlich hatte auch ich mich in einigen Punkten durchgesetzt: An der Wand, die vor einiger Zeit noch ausschließlich für Miró und Matisse reserviert gewesen war, hing nun ein gerahmtes Bild von Alexander Münch mit dem Titel »Alles fließt«. Das Bild war teuer genug, um es gut finden zu müssen, und es hatte genug Inhalt und Aussage, um es nicht auf Anhieb zu verstehen und langweilig zu finden.
    Als es passierte, lag ein langes Wochenende vor uns, weil ein Brückentag die Illusion eines Urlaubs in den Kalender gezaubert hatte. Als es passierte, war ich so gut drauf, wie ich es sonst

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