Eselsmilch
mohairartige Wolle auf Doras Arm. »Schicker Pulli.«
Dora
lächelte verschämt. »Ja, ganz anders als das, was ich sonst trage. Aber Gisela
hat gestern im Souvenirladen einen dieser Häkelpullis anprobiert, und sie hat
so apart darin ausgesehen, dass ich nicht widerstehen konnte.«
Um
kurz vor halb neun fanden sich die Reisegefährten wieder in der Lobby zusammen.
Man erwartete, wie schon am Vortag, den Touristenbus, der die Gruppe zur
Besichtigung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in die Altstadt bringen sollte.
Sämtliche
Sitzgelegenheiten im Raum waren von schnatternden deutschen Touristen belegt,
die wohl ebenfalls gleich abgeholt werden sollten.
Hubert
schlenderte auf Fanni und Sprudel zu. » TUI «, feixte er.
»Dreißig Leute auf der Route Rabat-Meknes-Fes-Marra…«
Der
Rest seines Satzes ging unter, weil auf einmal Tumult entstand. Die TUI -Gruppe hatte
sich erhoben und drängelte geschlossen zum Ausgang.
Sprudel
zog Fanni in den Schutz des Ständers mit den Ansichtskarten.
Wenige
Minuten später war der Aufruhr vorbei, und die Polstersessel waren auf einmal
wie leer gefegt. Nur ein paar zerknüllte Tempotaschentücher waren
zurückgeblieben, eine leere Bonbontüte, ein Modemagazin und eine Tageszeitung,
auf der die Titelschlagzeile lautete: »Ehrenbürger richtet sich selbst.«
Fanni,
die zufällig hinter dem Sessel stand, auf dem das Blatt liegen geblieben war,
nahm es auf und setzte sich. Müßig richtete sie den Blick auf die Titelseite,
wobei sie erstaunt feststellte, dass es sich um ein Tagblatt aus der Region
Niederbayern handelte. Dem Datum nach war es bereits vor zwei Monaten
erschienen, entsprechend ramponiert sah es aus. Offensichtlich waren die Seiten
als Einwickelpapier verwendet worden.
Unter
der Titelschlagzeile fand sich ein Foto des Mannes, der anscheinend Suizid begangen
hatte. Er sah alt aus, erschöpft und verbittert. Fanni war sich beim ersten
Hinsehen sicher, ihn nicht zu kennen, doch der zweite Blick ließ Zweifel in ihr
aufkommen. War sie diesem menschlichen Wrack etwa einmal begegnet, bevor die
Zerstörung begann?
Sein
Name wird ja wohl in dem beigefügten Artikel erwähnt sein!
Fanni
schickte sich an, den Bericht über den Selbstmörder zu lesen, dem offenbar
früher einmal die Ehrenbürgerwürde einer niederbayerischen Stadt verliehen
worden war. Aber über die erste Zeile kam sie nicht hinaus.
»Unser
Bus ist da«, rief Elke.
Fanni
griff nach ihrem Rucksack, ihrer Fleecejacke, die das Umschlagtuch ersetzen
musste, und nach der Mineralwasserflasche, die Sprudel soeben im Hotelshop
gekauft hatte.
Vor
der offenen Einstiegstür ihres Fahrzeugs hatte sich bereits eine kleine Traube
gebildet, weil der Busfahrer noch damit beschäftigt war, das Mikrofon für den
einheimischen Guide zu installieren, den Elke für die Stadtführung extra
angeheuert hatte. Fanni rechnete mit einer unangebrachten Bemerkung von Hubert
zu dieser Verzögerung, doch er blieb ausnahmsweise still.
Stattdessen
brummte Otto Brügge, der dicht neben ihr stand: »Unqualifiziertes Gesindel.«
Fanni
sah ihn erschrocken an, doch Otto würdigte sie keines Blickes. Er drängte sich
zum Einstieg vor, legte eine Hand auf den Haltegriff und stellte einen Fuß auf
die erste Stufe.
Fanni
starrte wie behext auf Otto Brügges Hand, die mit einer Mullbinde umwickelt
war. Dabei hätte sie fast Wiebkes Stimme überhört.
»Seit
dem Malheur in der Bar gestern Abend ist Otto auf die Einheimischen nicht mehr
gut zu sprechen.« Auf Fannis verständnislosen Blick hin fuhr sie fort: »Der
Barkeeper hat ihm den Whisky in einem Glas mit einer winzigen, aber
rasiermesserscharfen Scharte serviert, an der sich Otto böse verletzt hat.«
Nun
ließ sich auch Hubert wieder hören: »Sag ehrlich, Otto, war das die Scharte,
oder hat dir deine Frau eins auf die Finger gegeben?«
Oder
jemand anders. Wer weiß denn, wie Brügges Wunde wirklich aussieht? Vielleicht
hat ihn ja auch etwas gebissen, und die Brügges geben nur vor, er hätte sich
geschnitten!
Im
Bus kamen Fanni und Sprudel hinter Melanie Fuchs zu sitzen, die sich in der
ersten Sitzreihe auf der Fahrerseite breitgemacht hatte. Ihr Rucksack, ihre
Jacke und ein nagelneuer Reiseführer belegten den Platz neben ihr.
Melanie
drehte sich zu Fanni um und sagte sichtlich wissbegierig: »Ihr seid überfallen
worden, heißt es.«
Höflichkeitshalber
berichtete ihr Fanni kurz, was geschehen war. Als sie geendet hatte, fiel ihr
Blick aus dem Seitenfenster und auf die rosa
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