Eselsmilch
lag, zweifelnd an.
Jeder, der durch die Gasse gegangen war, konnte es verloren haben.
Hubert
griff nach ihrer Hand und bog sie um das Kettchen zu einer Faust zusammen.
»Behalt es als Andenken an dein aufregendes Erlebnis gestern.« Damit wandte er
sich den Kaffeekannen zu, brachte seine Tasse in die richtige Position unter
der Spenderdüse und begann zu pumpen.
Fanni
ließ das Kettchen in ihre Hosentasche gleiten, nahm die beiden Tassen auf und
ging an ihren Tisch.
Elke
war fort. Seit einigen Minuten offenbar schon, denn Sprudel hatte bereits
Fladenbrot, Butter und Marmelade und ein Schälchen Oliven auf den Tisch
gestellt. Mehr hatte das Büfett auch heute wieder nicht zu bieten, abgesehen
von Unmengen an übersüßen Gebäckteilchen. Obwohl Sprudel ein großer Liebhaber
von Kuchen und Torten war, konnte er den einheimischen Konditorwaren, die schon
zum Frühstück in großer Vielfalt angeboten wurden, nichts abgewinnen. Das lag wohl
daran, dass er sich inzwischen zu sehr an Fannis zuckerreduzierte
Vollkornprodukte gewöhnt hatte, die, wie er ihr schon oft versichert hatte,
seinem Magen, seinem Gewicht, seinem gesamten Stoffwechsel – kurz, seiner
Gesundheit – sehr zugutekamen.
Fanni
trank einen Schluck Kaffee und steckte sich eine Olive in den Mund, bevor sie
das Kettchen aus der Hosentasche angelte, es auf dem Tischtuch ausbreitete und
Sprudel berichtete, woher sie es hatte.
Beide
starrten es an, während sie aßen.
»Sieht
echt aus«, sagte Fanni.
Sprudel
deutete auf die eingestempelte Zahl am Verschlussring. »585er Gold.«
»Und
viel getragen«, fügte Fanni hinzu. »Es glänzt gar nicht mehr.« Zögernd kroch
ihre Hand über das Tischtuch zu dem Kettchen hin und verharrte an der Stelle, an
der es abgerissen war. Dort war ein schmales, längliches Goldplättchen
eingefügt. Fanni drehte es um. Wie sie vermutet hatte, waren auf der anderen
Seite Buchstaben eingraviert, die sich jedoch als von tiefen Kratzern durchzogen
und deshalb als auf den ersten Blick unleserlich erwiesen.
Fanni
nahm das Kettchen vom Tisch und hielt es sich vors Gesicht. »Es ist ein Name.
Klaus-Otto. Ja, Klaus-Otto, ohne Frage.« Sie kniff die Augen zusammen in der
Hoffnung, auf diese Weise auch das Folgende entziffern zu können. Doch bald gab
sie auf und legte das Kettchen zurück. »Vom Rest ist nicht mehr als ein
Sternchen zu erkennen.«
Sprudel
warf einen prüfenden Blick darauf. »Aber man kann noch sehen, dass weitere fünf
Zeichen eingraviert waren, höchstens sechs, falls diese Schramme hier ein ›I‹
oder ›L‹ überdeckt. Und außerdem lässt sich behaupten, dass der Vorname auf
einen deutschen Besitzer hindeutet.«
Gedankenverloren
kauten sie ihre Fladenbrote, tranken den Kaffee und betrachteten das Kettchen
auf dem Tischtuch.
»Es
kann seit Tagen in der Gasse gelegen haben«, sagte Fanni.
Sprudel
sah sie skeptisch an. »Hätten es dann die Handwerker nicht auch schon vor Tagen
gefunden?«
Beide
sahen auf, als ein Schatten auf das Tischtuch fiel.
Dora
Seeger war zu ihnen getreten. Sie starrte auf das Armband.
Hat
Hubert ihr nichts davon erzählt?
Fanni
wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als Dora eine Salve Fragen auf sie
abschoss: »Fühlt ihr euch besser? Habt ihr noch Schmerzen? Kann ich was für
euch tun? Braucht ihr Schmerztabletten? Aspirin? Paracetamol? Ibuprofen? Will
Elke Anzeige erstatten? Wollt ihr nicht vorsichtshalber einen Arzt –?«
Fanni
unterbrach sie, indem sie ihr eine Hand auf den Arm legte.
Dora
trug an diesem Morgen einen Pullover im Häkellook, der um die Hüften und um die
Handgelenke in vielen kleinen Zipfeln endete.
So
ein Schnickschnack passt überhaupt nicht zu ihr!
Fanni
fragte sich, weshalb ihr das Kleidungsstück so bekannt vorkam. Dora hatte es in
den Tagen zuvor bestimmt nicht getragen. Wo also hatte sie es gesehen?
Im
Souvenirladen! Da gibt es die Dinger stapelweise und in allen Farben! Sogar die
Schaufensterpuppe hat so ein Zipfeldings an!
Sprudel
versicherte Dora inzwischen ausdrücklich, dass Fanni ebenso wie er selbst den
gestrigen Überfall glimpflich überstanden habe. Dass sie sich beide leidlich
gut fühlten und keine Medikamente benötigten. Er versäumte auch nicht, sich bei
ihr noch einmal für die Salben zu bedanken, die, wie er betonte, wahre Wunder
gewirkt hätten.
»Ihr
müsst euch noch ein paar Tage damit einreiben«, ordnete Dora an. »Und wenn ihr
sonst noch was braucht …«
Sprudel
bedankte sich erneut.
Fanni
strich über die
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