Eselsmilch
Frühstücksraum,
dass du und Sprudel gestern Abend überfallen worden seid.«
Fanni
nickte matt und wünschte – um nicht noch einmal von dem Angriff in der
Gasse erzählen zu müssen –, Antje würde schleunigst von ihr abgedrängt
werden. Die Chancen dafür standen recht gut, denn zwei Männer mit einem
Handkarren kamen ihnen entgegen, und eine Traube verschleierter Frauen mit dicken
Bündeln in den Armen verstopfte den Weg. Aber Antje ließ ihren Arm nicht los,
weshalb Fanni zum dritten Mal von dem Vorfall in der dunklen Quergasse
berichten musste.
Sie
fasste sich so kurz wie möglich, was ihr jedoch wenig nützte, denn Antje
stellte Frage um Frage. Fanni konnte ihr nicht mehr entkommen, weil sich die
Reisegruppe soeben vor dem Laden eines Gerbers versammelt hatte und auf Gisela
wartete, die in dem Geschäft gerade eine kanariengelbe Lederjacke anprobierte.
Von der Straße aus war gut zu beobachten, wie sie sich auch noch in einer
blauen und in einer rostroten musterte, um sich dann doch für die gelbe zu
entscheiden.
Und
jetzt wird es eine Ewigkeit dauern, bis sie mit dem Verkäufer den Preis dafür
ausgehandelt hat, dachte Fanni.
Du
solltest die Zeit nutzen, um mehr über Marthas Unfall herauszufinden! Solltest
Erkundigungen einziehen, solange den Leuten der gestrige Morgen noch frisch im
Gedächtnis ist! Bombardier sie mit Fragen, die Horn, so wie sie dich mit Fragen
bombardiert hat!
Das
Stichwort dafür, Marthas Unfall zur Sprache zu bringen, gab Antje selbst. Sie
zeigte auf eine Touristin, die sich soeben mit einem geradezu akrobatischen
Sprung auf ein Mäuerchen davor gerettet hatte, von zwei Ziegen aufs Korn
genommen zu werden. »Gefährliches Pflaster, dieses Marrakesch, da sind Unfälle
vorprogrammiert.«
Fanni
nickte bekümmert. »Und manche gehen tödlich aus.« Sie schaute Antje an. »Bist
du im Hotelcafé gewesen, als das Unglück passiert ist?«
»Dieter
und ich haben zusammen an einem winzigen Ecktischchen gesessen«, antwortete
Antje. Weil Fanni ganz offensichtlich auf mehr wartete, fuhr sie fort: »Wir
konnten zwar durch das Panoramafenster auf die Straße hinausschauen, aber nur
einen kleinen Abschnitt davon überblicken, der lag gut zwanzig Meter stadteinwärts
der Stelle, an der Martha verunglückt ist.«
»Und
was habt ihr in dem Ausschnitt gesehen?«, insistierte Fanni.
»Melanie«,
antwortete Antje prompt. »Sie kam die Straße herunter.«
Scheint
sich ja ständig auf der Mohammed V herumzutreiben, die verhärmte Melanie
Fuchs!
»Und
sonst?«
»Parkende
Autos, vorbeifahrende Autos …« Antje dachte kurz nach. »Du musst
diejenigen fragen, die an den Tischen in der Mitte saßen, von da hatte man das
längste Stück Straße im Blick.«
»Und
wer saß in der Mitte?«, wollte Fanni wissen.
Antje
bemühte sich sichtlich, sich daran zu erinnern, und wirkte geradezu
schuldbewusst, als sie antwortete: »Ich weiß es nicht. Die Einzigen, die mir
einfallen, sind Wiebke und Otto. Sie saßen neben uns und haben lauthals
gestritten.
»Wieso
die zwei sich wohl dauernd in den Haaren liegen?«, sagte Fanni mehr zu sich
selbst.
»Es
war nicht zu überhören, worum es ging«, erwiderte Antje. »Otto hatte eine
Affäre mit einer Turnlehrerin, die an der gleichen Schule unterrichtet wie er.
Und Wiebke gibt sich für seinen Geschmack zu viel mit esoterischem Blödsinn ab.
Die gemeinsame Reise sollte wohl den Ehefrieden wiederherstellen. Scheint aber
bisher nicht zu funktio…«
Der
Rest des Wortes verhallte, denn Gisela hatte inzwischen zur Gruppe
aufgeschlossen, und der ganze Pulk drängte voran. Antje wurde von Fanni
getrennt und verlor sich in der Menge.
Als
Fanni endlich im Innenhof der Koranschule neben dem Wasserbecken stand, das die
ganze Pracht orientalischer Zierde widerspiegelte, fühlte sie sich erschöpft
und ausgelaugt.
Ist
es nicht wunderschön hier? Ist es nicht wie im Märchen? Farbenfrohe Mosaiken,
filigrane Schnitzereien, kostbarer Marmor, herrliche Stuckarbeiten, und alles
untermalt vom leisen Plätschern eines Brunnens! Ist es nicht romantisch hier?
Fanni
seufzte. Sie konnte die Werke maurischer Baumeister und Künstler nicht
angemessen würdigen. Und wie phantasievoll, wie exotisch auch immer, das Flair
von Tausendundeiner Nacht perlte an ihr ab wie Tau von einem Plastikhalm. Fanni
war müde und traurig, und sie fragte sich, ob dieser Zustand jemals wieder
enden würde.
Apathisch
sah sie zu, wie Antje und etliche andere aus der Gruppe die Treppe zur ersten
Etage
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