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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mehler
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Hausfassade mit der Aufschrift
»FedEx«. Der Durchlass in die schmale Gasse zwischen dem rosa und dem
angrenzenden Haus war zur Hälfte von einem Lieferwagen verdeckt.
    Fanni
deutete hinaus. »Genau so eine Gasse war es, die Sprudel und mir zum Verhängnis
wurde. Man sollte sich da nicht hineinwagen, am besten nicht einmal am
helllichten Tag.«
    Melanie
schaute sie unverwandt an.
    »Sprudel
meinte«, fuhr Fanni dreist fort, »er hätte dich gestern Mittag dort drüben an
dem Durchgang gesehen – mit einem Fremden.«
    Melanie
zeigte ein freudloses Lächeln. »Keine Sorge, Fanni. Ich kann schon auf mich
aufpassen.«
    Dann
drehte sie sich abrupt nach vorn, denn der Touristenbus war losgefahren und
fädelte sich soeben in den fließenden Verkehr auf der Avenue Mohammed V.
    Wenn
es mit deinen Recherchen so kümmerlich weitergeht, kannst du ebenso gut nach
Hause fahren, um Marthas Beerdigung nicht zu versäumen! Wenn du was
herausbekommen willst, musst du schon direkt fragen: Hallo, Melanie, mit wem
hast du gestern Nachmittag hier an der Ecke gequasselt und warum?
    Fanni
verdrehte die Augen zum Bushimmel hinauf.
    Nachdem
die Reisegruppe in der Nähe des Bahia-Palastes aus ihrem Fahrzeug gestiegen war
und sich zu Fuß auf den Weiterweg gemacht hatte, drängte sich Olga an Fannis
Seite und wollte wissen, ob es stimmte, wovon an diesem Morgen alle sprachen.
Gefügig begann Fanni noch einmal zu erzählen, erwähnte jedoch – wie schon
zuvor bei Melanie – mit keinem Wort, dass es der Angreifer womöglich auf
ihr Leben und nicht auf ihr Portemonnaie abgesehen hatte.
    Obwohl
Fanni das nächtliche Abenteuer viel harmloser geschildert hatte, als es
tatsächlich gewesen war, wirkte Olga wie vor den Kopf geschlagen.
    Fanni
sah sie besorgt an. Die Klein-Bäuerin hatte sich von Beginn der Reise an
erstaunlich eigenständig und unabhängig gezeigt, hatte sich überall schnell
zurechtgefunden und war bei der ganzen Gruppe beliebt. Sie hatte Fanni keine
Sekunde lang das Gefühl gegeben, ihre Zuwendung oder besondere Aufmerksamkeit
zu benötigen. Olga hatte mit Martha herumgealbert, mit Gisela in
Modezeitschriften geblättert und zusammen mit Dora ein Katzenjunges von einem
Wagendach gerettet.
    Aber
jetzt war Martha tot, Gisela klebte wie eine Klette am Schwachstellenanalytiker,
und einige aus der Gruppe verhielten sich merklich zugeknöpfter als anfangs.
Fanni nahm sich vor, sich Olgas verstärkt anzunehmen.
    Sie
betraten den dschungelartig bepflanzten Innenhof des Palastes, wo der
einheimische Stadtführer eine vom Touristenstrom etwas abgelegene Stelle an der
Außenmauer ansteuerte. Von dort aus winkte und gestikulierte er, bis die
gesamte Reisegruppe um ihn versammelt war.
    »Die
Bahia«, begann er seinen Vortrag, »so wurde zur damaligen Zeit die
Lieblingsfrau des Sultans genannt, bewohnte das schönste Gemach im Palast, das
wir gleich besichtigen werden. Die Nebenfrauen …«
    Fanni
hörte nicht mehr hin. Der Trubel, der Lärm und das Gedränge ringsum machten sie
benommen. Außerdem heizte die Sonne, die heute schon seit dem frühen Morgen vom
Himmel strahlte, den Innenhof zusehends auf und erzeugte eine schier tropische
Atmosphäre.
    Haltsuchend
klammerte sie sich an Sprudel.
    Er
fasste sie fest um die Taille, als sich die Gruppe in Bewegung setzte, um dem
Guide zu folgen, der – immer wieder Haken um kleine Menschenansammlungen
schlagend – auf einen Säulengang zustrebte. Gemeinsam bemühten sie sich,
ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
    »Und
hier residierte die Lieblingsfrau des Sultans«, sagte der Guide an der Stelle,
wo das letzte Säulenpaar in einen geschlossenen Raum überleitete, mit einer
ausladenden Handbewegung.
    In
dem weiträumigen, weder mit Tisch und Stuhl noch Bett möblierten Gemach der
Bahia hallten die Stimmen der Besucher echoverstärkt von den gekachelten Wänden
wider.
    »Kissen«,
antwortete der Guide auf eine Frage, die aus der Gruppe aufstieg und einen
Augenblick lang wie ein Wölkchen in der Luft hing, bevor sie an sein Gehör
drang. »Sie dürfen sich keine Einrichtung nach europäischem Muster vorstellen.
Man saß auf Kissen, ruhte auf mehreren Lagen dicker Teppiche. Zum Verstauen der
Kleidung gab es Truhen aus Leder. Und nun bitte ich Sie, dem Kunstwerk
Beachtung zu schenken, das diesen Raum so berühmt gemacht hat.«
    Pflichtschuldig
hob Fanni den Blick zur Decke, die – da musste sie dem Guide recht geben –
ein Wunder an Wandmalerei darstellte. Fein ausgearbeitete

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