Eselsmilch
Fanni bekam halbwegs mit, dass sie über Brügges Frau Wiebke ebenso
wenig gefunden hatte wie über Melanie Fuchs.
»Aber«,
fuhr Leni fort, wobei Bild und Ton nichts zu wünschen übrig ließen, »du hattest
mir ja angegeben, dass Melanie in Bogen wohnt, deshalb bin ich gestern Abend
nach Erlenweiler gefahren, und morgen werde ich mal an ihrer Wohnungstür
klingeln.«
»Du
bist in Erlenweiler – bei Hans?«, japste Fanni.
Leni
grinste breit. »Er hat sich sehr darüber gefreut, Besuch von seiner ältesten
Tochter zu bekommen. Ich habe Schinkennudeln gemacht, wir haben zusammen
gegessen …«
Schinkennudeln!
Hat Leni eigentlich noch ein weiteres Gericht im Repertoire?
»… und
dann haben wir gemeinsam die alten Jahresberichte vom Zwieseler Gymnasium
angeschaut. Wie wäre ich sonst an die rangekommen? Hans kennt ja eine Menge …«
Diesmal
blieben Bild und Ton eine ganze Weile weg. Als Fanni schon meinte, die
Verbindung sei endgültig zusammengebrochen, hörte sie Leni sagen: »… sollten
ohne Bild weitermachen, ich glaube, dann tut sich das System etwas leichter.«
Fanni
nickte verständig, obwohl ihre Tochter sie gar nicht mehr sehen konnte.
Leni
hatte inzwischen gefragt: »Hast du noch mehr Namen zu überprüfen?«
Fanni
gab die Namen und Adressen von den Seegers und den Horns durch. Nach einem
kurzen Moment des Überlegens fügte sie den Namen Elke Knorr hinzu und deren
Anschrift.
Leni
schrieb sich vermutlich alles genau auf, denn es dauerte eine Weile, bis sie
mit einem Lachen in der Stimme sagte: »Gut, dann werde ich Marco mal zeigen,
wie man effizient ermittelt.« Bei den nächsten Worten wurde ihre Stimme ernst.
»Und du und Sprudel, ihr passt aufeinander auf – ja? Solange wir nicht
ganz genau wissen …« Damit war die Kommunikation zu Ende. Die Kopfhörer
gaben nicht einmal mehr ein Rauschen von sich.
Fanni
nahm das Headset ab und legte es sorgsam neben den Bildschirm. »Leni hat Lunte
gerochen.«
»Wenn
nicht, wäre ich auch bass erstaunt gewesen«, erwiderte Sprudel. »Sie konnte
sich ja einiges zusammenreimen. Einerseits hast du ihr zu verstehen gegeben,
dass du herausfinden willst, ob jemand aus der Reisegruppe Grund hatte, Martha
übel zu wollen. Andererseits musstest du dafür sorgen, dass Leni bei ihren
Recherchen auch auf Bezüge zu dir achtet. Die Idee mit der Bergsteigergruppe
war gut – vielleicht ist der Berührungspunkt tatsächlich auf einer
Berghütte zu finden. Aber Leni war natürlich sofort klar, dass auch du in
Gefahr sein könntest. Da musste ihr keiner was von den Anschlägen erzählen.«
Die
Tür flog auf, und der Rezeptionist des Hotels stürzte in den Raum. Er ließ
einen nicht enden wollenden französischen Wortschwall auf sie herabregnen.
Sprudel
nickte, lächelte zuvorkommend und versuchte vergeblich, auch zu Wort zu kommen.
Letztendlich
blieb Fanni und ihm nichts anderes übrig, als dem Mann in einen Salon zu
folgen, wo dicke, handgeknüpfte Teppiche nicht nur den Boden belegten, sondern
auch die Wände bespannten und wo er ihnen einen Thé à la menthe servierte, der
aus achtzigprozentiger Zuckerlösung zu bestehen schien.
»Monsieur
ist untröstlich über den Stromausfall«, sagte Sprudel zu Fanni. »Sobald der
Schaden behoben ist, will er die Verbindung für uns wiederherstellen.« Er
winkte ab, als Fanni etwas erwidern wollte. »Wir müssen jetzt Tee trinken, zwei
oder drei Gläser mindestens. In einer halben Stunde ist es dann hoffentlich so
weit, dass er uns gehen lässt.«
Fügsam
lehnte sich Fanni in die Polster des niedrigen Sofas zurück und ließ ihre
Gedanken treiben. Sie dachte an ihre Tochter, die sich schwer ins Zeug legte,
um herauszufinden, wo die Ursache für gewisse Geschehnisse in Marokko verborgen
war.
Bildhaft
stellte sich Fanni vor, wie Leni an der Wohnungstür von Melanie Fuchs
klingelte. Wie ihr Melanies Sohn oder Tochter, möglicherweise ihre Mutter,
vielleicht auch ihr Ehemann öffnete.
Womöglich
macht überhaupt niemand auf, weil Melanie allein lebt!
Fanni
wischte den Einwand ihrer Gedankenstimme weg und überlegte hin und her, was
sich Leni wohl für einen Vorwand ausgedacht hatte, um mit
Wer-auch-immer-die-Tür-öffnete ins Gespräch zu kommen.
10
Kein
Geistesblitz, keine Eingebung brachten Fanni darauf, wie sich Lenis
Nachforschung wirklich abspielen sollte.
Fannis
Tochter musste sich nämlich keine List ausdenken und auch niemandem eine
Lügengeschichte erzählen. Sie musste nicht einmal nach Bogen fahren und
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