Eselsmilch
von einem
lauten Schnauben und etwas wie einem Husten begleitet. Fanni warf einen
erschrockenen Blick zurück, der unvermittelt auf eine monströse Kreatur fiel,
die, so weit sie das im Dämmerlicht erkennen konnte, auf ihr Zelt zuhielt.
Einen
Moment lang blieb sie wie erstarrt stehen, erwachte jedoch zum Leben, als sie
die Kreatur in die vordere Zeltwand hineinstampfen sah. Hastig sprang sie
vorwärts, hüpfte mehr als sie rannte – doch sie kam nicht weit. Nach
wenigen Metern stolperte sie über eine Zeltverspannung, ruderte verzweifelt mit
den Armen, verlor dennoch das Gleichgewicht, stürzte und blieb liegen.
Fanni
lag mit aufgeschlagenen Knien, abgeschürften Handflächen und schmerzenden
Ellbogen auf einer Schotterfläche. Sie sah Lichter, hörte noch immer Getrampel,
hörte Geschrei und das Reißen von Stoff.
Steh
auf und bring dich in Sicherheit!
Fanni
hätte beinahe gelacht. Sicherheit! Als ob hier irgendwo Sicherheit zu finden
wäre.
Sie
schloss die Augen und rührte sich nicht.
Memme,
Feigling, Hasenfuß! Hast du überhaupt keinen Schneid mehr?
Nein,
dachte Fanni. Nicht den geringsten.
»Sie
liegt nicht drunter. Sie war gar nicht drin.« Die Stimme übertönte alle anderen
Geräusche, und Fanni kannte sie, konnte sich jedoch im Moment nicht erinnern,
wem sie gehörte.
Gleich
darauf war es still. Kein Getrampel mehr, kein Geschrei und kein Reißen von
Stoff. Nur Stille. Und dann drang die Stimme an ihre Ohren, die Fanni jederzeit
und überall zuordnen konnte. Sprudels Stimme.
»Fanni,
Fanni, wo bist du? Fanni, sag, dass dir nichts geschehen ist.«
Steh
endlich auf! Wirklich verletzt bist du ja nicht!
Fanni
tat kein Zucken.
Mach
dich wenigstens bemerkbar, wenn du schon hier liegen musst wie ausgespuckt!
Da
nahm sie alle Kraft zusammen und schaffte es zu rufen.
14
Man
hatte Fanni im Speisezelt auf zwei übereinandergelegte Schlafmatten gebettet.
Olga hatte ihr Beruhigungstee eingeflößt, Gisela hatte den Dreck von ihrer
Kleidung abgeklopft, und Dora hatte es sich nicht nehmen lassen, Fannis Knie
und Handflächen zu desinfizieren und zu verpflastern.
Fanni
hatte sich gegen nichts und niemanden gewehrt, hatte Hilfeleistung und Fürsorge
stumm über sich ergehen lassen, hatte nicht einmal gezuckt, als Dora einen
kleinen Holzsplitter aus ihrem Handballen zog.
Mit
solchen Nebensächlichkeiten konnte sich Fanni im Moment nicht abgeben. Sie
benötigte ihre gesamte Energie, um die Atmung flach zu halten und um sich
wieder und wieder vorzubeten, dass nur ein einfältiges Muli auf ihr Zelt
getrampelt war, ein ganz gewöhnliches Tier, kein Monster aus einem
Fantasyroman.
Vorsichtig
richtete sie den Blick auf Sprudel, der neben ihrer linken Schulter kniete und
seine Hand auf ihren Arm gelegt hatte. Sprudels Gesicht wirkte wie ein grauer
Schemen. Als es Fanni gelang, schärfer zu fokussieren, erkannte sie, dass sich
die beiden Falten tiefer denn je in seine Wangen eingegraben hatten, und sie
meinte wahrzunehmen, dass seine Mundwinkel zitterten.
Da
versuchte sie, ihm mit Blicken zu sagen, dass alles in bester Ordnung sei; wollte
ihn zwingen, als gewiss hinzunehmen, was ihr als Erklärung plausibel schien:
Das Muli musste sich beim Grasen in den Zeltleinen verfangen haben. Dabei war
es in Panik geraten und durchgegangen.
Gegen
diese Auslegung hatte allerdings ihre missliebige Gedankenstimme Gewichtiges
einzuwenden:
Und
was hätte es auf dem Schotterboden zwischen den Zelten abgrasen sollen?
Schnürsenkel von Bergschuhen? Handschlaufen von Teleskopstöcken?
Fanni
bemerkte, dass Sprudels Mundwinkel heftiger zitterten.
Das
Muli, lehnte sie sich halsstarrig gegen ihre Gedankenstimme auf, war auf der
Suche nach Essbarem. Deshalb ist es von der mageren Weide hinter der Steinmauer
auf den Zeltplatz herübergekommen. Woher sollte es denn wissen …
Sie
schloss die Augen.
Mit
auffallend ernstem Gesicht betrat Hassan eine gute Stunde später das
Speisezelt, in dem nun alle versammelt waren. Manche hockten auf dem Boden, die
meisten aber standen in der Mitte des Zeltes auf der geflochtenen Matte, die bei
den Mahlzeiten als Unterlage für Teller, Töpfe und Schüsseln diente.
Fanni
saß jetzt aufrecht auf den beiden übereinandergelegten Matten, den Rücken an
eine Zeltstange gelehnt, die Dora mit ihrem Anorak gepolstert hatte.
Dicht
neben Fanni kauerte Sprudel. Er hatte den Kopf auf die Hände sinken lassen.
Ohne
Umschweife wandte sich Hassan an Fanni. »Wenn du ihn nicht ausdrücklich
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