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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mehler
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davon
entbindest, muss der Mulitreiber sein Tier auf der Stelle töten.« Bekümmert sah
er sie an. »Für ihn wäre das eine Katastrophe. Das Muli ist seine
Lebensgrundlage und die seiner Familie.«
    Fanni
wollte gerade antworten, dass es keinen Sinn habe, das Tier zu töten, da rief
Otto Brügge dazwischen: »Dieses tobsüchtige Vieh muss weg. Es ist
unberechenbar, kann jederzeit wieder angreifen. Was, wenn es dann wirklich
jemanden zu Tode trampelt?«
    Hassan
sah ihn streng an. »Das Muli hatte einen guten Grund, durchzugehen.«
    In
das entstandene Schweigen hinein meinte Hubert, einen seiner Witze machen zu
müssen: »Weil es den Gestank unserer Bergschuhe nicht ertragen hat?«
    Hassan
warf ihm einen abfälligen Blick zu. »Der Mulitreiber hat sein Tier vorhin
gründlich untersucht, weil er angenommen hat, sein Verhalten sei durch eine
Verletzung oder eine Kolik ausgelöst worden. Und er hatte recht. Ich habe mich
selbst davon überzeugt. Das Muli hat eine tiefe Wunde in der rechten Flanke, so
als hätte jemand einen spitzen Gegenstand hineingestoßen. Der Schmerz muss es
in Panik versetzt haben.«
    »Es
wurde verletzt?«, fragte Fanni mit dünner Stimme. »Absichtlich verletzt?«
    Hassan
zögerte mit der Antwort. Da fragte Sprudel: »Weshalb befand es sich eigentlich
auf dem Zeltplatz und nicht hinter der Steinmauer, so wie die anderen?«
    Hassan
sah ihn an. »Der Mulitreiber meint, es muss hergelockt worden sein.«
    »Jetzt
aber mal langsam«, ließ sich Bernd vernehmen. »Willst du damit sagen, jemand
hätte dem Muli irgendwas Essbares vors Maul gehalten und es auf diese Weise
dazu gebracht, ihm zu folgen? Vor Fannis Zelt hat er dem Tier dann ein Messer
in die Flanke gerammt, woraufhin es losstürmte?«
    Hassan
sah ziemlich unglücklich aus, als er antwortete: »So muss man sich das
vorstellen, meint der Mulitreiber.«
    Etliche
Stimmen riefen durcheinander:
    Otto
Brügge: »Quatsch, der sucht doch nur nach einer Ausrede, damit er das verrückte
Vieh nicht schlachten muss!«
    Dora
Seeger: »Wer sollte denn so was tun? Fanni hätte dabei umkommen können.«
    Bernd
Freise: »Das muss ein Mulitreiber gemacht haben, der seinen Kollegen ruinieren
will.«
    Hubert
Seeger: »Wer weiß, was die Beraber da untereinander austragen.«
    Hassan
wartete mit stoischer Miene, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Dann sagte er
nachdrücklich: »Kein Mulitreiber würde eines der Tiere verletzen. Auch dann
nicht, wenn es das seines schlimmsten Feindes wäre.«
    Die
meisten im Zelt quittierten seine Worte mit einem einsichtigen Nicken. War es
nicht mehr als verständlich, dass die Bergbauern im Hohen Atlas größten Respekt
vor den Tieren hatten, die mit Mühsal und Plackerei ihre Familien ernährten?
    »Könnte
sich das Muli die Wunde nicht durch einen Unfall zugezogen haben?«, fragte
Antje Horn in die aufkommende Stille. »Es könnte ja von einem anderen der Tiere
an eine spitze Felszacke gedrängt worden sein. Kein Wunder, wenn es daraufhin
kopflos auf den Zeltplatz gestürmt und über alles drübergetrampelt wäre, was
ihm im Weg stand.«
    Hassan
wiegte den Kopf. »Es wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen, was die
genaue Ursache für die Verletzung war. Aber wenn es unter den Tieren einen
Aufruhr gegeben hätte, dann hätten die Mulitreiber das mitbekommen.«
    Fanni
beugte sich vor, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, und sagte sehr betont:
»Was auch passiert ist, dieses Muli hatte guten Grund, in Panik zu geraten, und
deshalb darf es nicht getötet werden.«
    Hassan
lächelte ihr zu und verließ sichtlich erleichtert das Zelt.
    Fanni
griff nach Sprudels Hand und hielt sich daran fest, um auf die Füße zu kommen.
»Wir müssen unsere Sachen suchen gehen, müssen sehen, was noch zu gebrauchen
ist und was nicht.«
    Olga
legte ihr den Arm um die Schultern. »Gisela, Antje, Wiebke und ich haben schon
alles zusammengetragen, sortiert und auf eine saubere Zeltplane gelegt. Ich
glaube, der Schaden ist nicht allzu groß. Das Zelt ist natürlich hin. Der Stoff
ist zerfetzt, das Gestänge zerbrochen. Trotzdem ist alles, was darunter war,
weder besonders schmutzig noch irgendwie beschädigt. Nur das Gehäuse von deiner
Armbanduhr ist gesplittert, Fanni. Die muss direkt unter einen Huf geraten
sein.«
    »Lässt
sich ersetzen, war nicht wertvoll«, murmelte Fanni. »Aber – wo sollen wir
die heutige Nacht verbringen?«
    »Darum
habe ich mich schon gekümmert«, meldete sich Elke zu Wort, die während der
Debatte mit Hassan

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