Eskandar: Roman (German Edition)
sollen?, verteidigt Mahrokh-Khanum sich. Ich hatte Angst, Eskandar-Agha würde dich mir wegnehmen. Ich hatte Angst, du würdest ihn suchen wollen, so wie du deine Mutter und deinen Vater suchen wolltest. Ich hatte Angst, du würdest mich verlassen, mich alleinlassen, sagt Mahrokh-Khanum und weint. Ich hatte keine Wahl, ich musste die Wahrheit vor dir verbergen. Und ich habe es zu deinem eigenen Schutz getan.
Sie haben mich in dem Glauben gelassen, Eskandar-Agha hat mich nicht gewollt und verstoßen, sagt Roxana fassungslos.
Ich bin ein solcher Dummkopf gewesen, sagt Eskandar-Agha.
Es geht nicht um Sie, herrscht Mahrokh-Khanum ihn an und bekommt wieder ihr hässliches Gesicht.
Sie widern mich an, murmelt Roxana, erhebt sich und will hinausgehen, da wirft Mahrokh-Khanum sich wie eine Verrücktgewordene auf den Boden vor ihre Füße, kratzt sich das Gesicht und rauft sich das Haar. Doch Roxana sieht sie nicht einmal an und verlässt das Zimmer.
Sofort wirft Mahrokh-Khanum sich Eskandar-Agha in die Arme. Bitte begreifen Sie doch, ich war in Not, was hätte ich denn tun sollen?
Zuerst ist es Eskandar-Agha peinlich, Mahrokh-Khanum in den Armen zu halten, ihr Gesicht so nah an seinem, ihr Duft in seiner Nase. Dann denkt er, dieses Mal ist es nun wirklich nicht meine Schuld, und es gefällt ihm, den Körper einer Frau zu spüren. Sie ist nicht mehr die schöne Geliebte von einst, aber schließlich ist auch er in die Jahre gekommen. Und er hat sich seit einer Ewigkeit keiner Frau genähert, also nimmt er Mahrokh-Khanum fester in die Arme. Und sein schlechtes Gewissen verscheucht er rasch mit einem anderen Gedanken: Aftab-Khanum hätte es sicher gefallen, dass ich nicht mehr schwermütig bin.
Der erste Kuss hat mit den Küssen von damals nichts zu tun, der zweite und dritte auch nicht. Mahrokh-Khanum wehrt sich nicht, stöhnt hin und wieder, klingt dabei nicht, wie Eskandar-Agha es von früher kennt, und er weiß auch nicht, ob sie stöhnt, weil es ihr gefällt oder weil sie leidet. Aber im Grunde ist es ihm auch vollkommen gleichgültig.
Als beide schließlich halb entkleidet sind, kommt es, wie es kommen muss. Sie lieben sich.
Das ist nicht gerade aufregend, aber es ist den Versuch wert, findet Eskandar-Agha, und besser als gar keine Liebe ist es allemal.
Während sie sich in ihre Kleider zwängen, jetzt wieder nüchterner, sagt Eskandar-Agha, also das war doch ein guter Anfang. Wenn Sie möchten, können wir das gerne fortsetzen.
Mahrokh-Khanum macht ein Gesicht, als hätte sie schimmeliges Brot im Mund. Dummkopf, murmelt sie, nimmt ihre Schuhe und geht.
Eigentlich könnte Eskandar-Agha es dabei belassen, aber nachdem Mahrokh-Khanum weg ist und ihr Duft nur noch dünn in der Luft hängt, findet er im Hof auf dem Weg zum Abort eine kleine Tasche aus Leder, in der neben Ausweisen, Dokumenten und Fotos eine Menge Geld steckt. Kein wertloses persisches, sondern wertvolle Amrikai-Dollar. Der Gedanke, das Geld zu behalten, kommt und geht. In der Brieftasche befindet sich eine Telefonnummer, aber weder Eskandar-Agha noch einer seiner Nachbarn hat ein Telefon. Zwei oder drei Tage wartet er in der Hoffnung, Mahrokh-Khanum schickt jemanden oder kommt zurück, um die Brieftasche zu holen. Am dritten Tag macht er sich auf den Weg zu ihrem Haus in den Norden der Hauptstadt. Schließlich ist Mahrokh-Khanum nicht irgendjemand, er wird die Leute fragen und ihr Haus finden.
Eskandar-Agha freut sich auf seine kleine Reise zum nördlichsten Ende der Stadt, am Fuß der Alborsberge, wo die reichen Leute wohnen, die ihre Häuser Villa und ihre Gärten Parks nennen. Das Wasser, das aus den Bergen in den Djub rechts und links der Straßen fließt, ist dort noch frisch und sauber, und sogar die Luft ist reiner als im Süden der Stadt.
Eskandar-Agha packt ein Bündel mit Käse und Brot, seiner Fotokamera, dem neuen Notizblock, den Bleistiften und einem kleinen Messer, um sie zu spitzen.
Weiter als bis zum berühmten Café Naderi, in dem nur Farangi und Leute mit viel Geld verkehren, kommt er allerdings nicht, denn vor dem Café steht Roxana. Als sie ihn entdeckt, überlegt sie einen Moment, dann sagt sie, ach, was soll’s? Kommen Sie, wir gehen hinein.
Eskandar-Agha kramt die Brieftasche aus seinem Bündel und will gleich wieder gehen. Dass Sie und ich hier gemeinsam sind, murmelt er, das ziemt sich nicht, die Leute starren uns schon an.
Doch Roxana hört nicht auf ihn und schiebt ihn zwischen den Tischen vor sich her, als wäre er
Weitere Kostenlose Bücher