Eskandar: Roman (German Edition)
in die Stille des großen Salons. Ich möchte Ihnen einen Menschen vorstellen, der zu den wichtigsten in meinem Leben gehört. Eskandar-Agha. Ohne ihn hätte ich nicht überlebt.
Eine Bewegung an der Tür zieht Roxanas Aufmerksamkeit und damit auch die von Eskandar-Agha und allen anderen auf sich. Sie lächelt und winkt ein Mädchen und einen Jungen zu sich. Das Mädchen sieht aus wie die kleine Roxana. Roxana küsst beide Kinder auf die Wangen, nimmt sie an die Hand und führt sie zu Eskandar-Agha, während die anderen Gäste, zuerst noch zögernd, ihre Gespräche wieder aufnehmen.
Inzwischen schwitzt Eskandar-Agha so sehr, dass sein Nylonhemd an seiner Haut klebt. Trotzdem beugt er sich zu den Kindern und küsst sie ebenfalls auf die Wangen. Der Junge bleibt stocksteif stehen, das Mädchen schreckt zurück, ignoriert den mahnenden Blick ihrer Mutter und wischt sich mit dem Handrücken den feuchten Kuss von der Wange.
Das sind Nimtadj und, sie zögert, bevor sie den Namen ihres Sohnes nennt, Eskandar.
Eskandar-Agha hat das Gefühl, als würde der Boden schwanken. Er vergisst sich, vergisst den prächtigen Salon und die feinen Gäste und fällt vor den Kindern auf die Knie.
Roxana ist es peinlich, und sie versucht, Eskandar-Agha auf die Beine zu helfen. Aber er ist zu schwer, sie verliert den Halt und fällt ebenfalls auf die Knie.
Die Gäste werden auf das seltsame Geschehen am kleinen Tisch aufmerksam und verstummen erneut, sodass nur noch das leise Schluchzen von Eskandar-Agha zu hören ist.
Alle sind still, bis die kleine Nimtadj einen Arm um den Hals von Eskandar-Agha und den anderen um den ihrer Mutter legt und lächelt.
Manchen Gästen steigen Tränen in die Augen, andere sind irritiert. Roxana legt den Arm um ihre Kinder, Eskandar-Agha tut es ihr gleich. Als ihre Arme sich berühren, zucken beide. Eskandar-Agha, Roxana und ihre Kinder sehen sich an, sehen in ihre verweinten Augen, und mit einem Mal lächeln und lachen sie alle befreit.
Manche Gäste lachen mit ihnen, manche umarmen sich gegenseitig, andere streichen den Kindern über den Kopf oder klatschen gar vor Freude in die Hände. Sogar die Dienerinnen, der Koch und das Kindermädchen sind durch die plötzliche Ruhe aufmerksam geworden und in den Salon gekommen. Die Haushälterin gibt Anweisungen, die Bediensteten schwirren aus, verteilen Eislimonade und Wassermelonen, damit die Gemüter sich wieder abkühlen.
Stühle und Tische werden gerückt, einige setzen sich auf den Boden, und alle wollen in der Nähe von Eskandar-Agha, Roxana und den Kindern sein.
Erst zum Mittagessen löst die Gesellschaft sich auf. Alle wandern in den nächsten großen Salon, wo eine riesige Tafel mit Speisen verschiedenster Farben und Düfte auf sie wartet.
Einen so großen und üppig gedeckten Tisch habe ich nicht einmal beim großen Tiger gesehen, flüstert Eskandar-Agha Nimtadj ins Ohr, die auf seinem Arm hockt, sich an ihm festklammert und ihn gar nicht mehr loslassen will.
Nimtadj sieht ihren neuen Freund an, als würde er einen Scherz machen, den sie natürlich durchschaut. Sie nimmt die Hand vor den Mund, zieht den Kopf ein und kichert.
Mit Nimtadj auf dem Arm setzt Eskandar-Agha sich, schiebt zuerst ihr, dann sich selbst ein Stück frischen Schafskäse in den Mund und weiß nicht, welche der köstlichen Speisen er zuerst auf seinen Teller schaufeln soll.
Schade, dass mein Vater nicht mehr in dieser Welt ist, sagt die kleine Nimtadj.
Eskandar-Agha streicht ihr übers Haar und erzählt eine Geschichte, die er schon Roxana erzählt hat, als sie ein kleines Mädchen war. Dir geht es wie Prophet Mohammad, der ist auch ohne seinen Vater aufgewachsen, und sieh ihn dir an, was für ein prachtvoller und mächtiger Mann er geworden ist.
Meine Mutter sagt, du bist ein Geschichtenerzähler. Nimtadj legt den Kopf schräg, wie ihre Mutter früher.
Ja, das bin ich, antwortete Eskandar-Agha lachend.
Erzähl mir alle Geschichten von Prophetmohammad, bittet sie.
Prophetmohammad, sagt Eskandar-Agha. Als ich selber ein kleiner Junge gewesen bin, habe ich seinen Namen genauso ausgesprochen.
Weder ihre Mutter noch das Farangi-Kindermädchen aus Farance, dem Land der wahren und ersten Farangi, schaffen es, die kleine Nim tadj von Eskandar-Agha loszureißen und in ihr Bett zu bringen. Erst als sie in seinen Armen einschläft und ihr Körper schwer wird, kann er sie die große geschwungene Treppe hinauf in ihr Zimmer tragen, das allem Anschein nach ihr ganz allein
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