Eskandar: Roman (German Edition)
Eskandar-Agha.
Auf dem verbotenen Berg leben gefährliche Div und Jinn, flüstert Nimtadj und zieht den Kopf zwischen die Schultern.
Siehst du, sagt Eskandar-Agha, in Farangestan gibt es weder verbotene Berge noch irgendeine andere Gefahr. Dort haben die Menschen haben alles, was sie zum Leben brauchen, und kennen weder Not noch Angst, und genau aus diesem Grund gibt es dort auch keine Geschichten für Menschen wie dich und mich.
Gut, sagt Nimtadj. Dann bleiben Sie und sammeln Geschichten für Leute wie uns, und ich gehe nach Farang und erzähle denen die Geschichten, die Sie mir erzählt haben. Nimtadj umarmt Eskandar-Agha, küsst ihn auf die Wange, hüpft fröhlich davon und dreht sich auch nicht mehr nach ihm um.
Kinder sind so, murmelt Eskandar-Agha auf dem Weg zurück in den Süden der Stadt. Sie lieben dich, sie wollen an deiner Seite einschlafen, und sie rufen deinen Namen als Erstes, wenn sie aufwachen. Aber wenn sie weg sind, sind sie weg und denken nicht mehr an dich. Und wäre es anders, wären es keine Kinder, murmelt er und lächelt vor sich hin.
Willkommen zu Hause, sagt der Nachbarjunge Hossein, den nunmehr alle Hossein-Agha nennen. Wo immer Sie gewesen sind, ich sehe es an Ihren Augen, es hat Ihnen gutgetan. Aber für mich, sagt Hossein, ist es nicht gut gewesen, denn ich habe Sie in jedem Augenblick, den Sie nicht hier waren, vermisst.
Ein neuer Freund und eine Tochter
Auf der Suche nach einem Zimmer taucht ein Fremder im Hof auf und behauptet, seine Eltern hätten bereits hier gelebt. Sein Name ist Agha-Javad, und er scheint Geld zu haben, denn er sagt, der Preis spielt keine Rolle.
Weil es Freitag ist, er nichts Besseres zu tun hat und Eskandar-Agha den Eindruck macht, dass auch er nichts verpasst, nimmt Agha-Javad ihn mit zum Tshelokababi und bezahlt die Rechnung. Eskandar-Agha isst nicht nur eine, sondern gleich zwei Portionen mit allem, was dazugehört: Torshi, Joghurt mit Knoblauch, Joghurt mit Gurken und Minze, frisches Fladenbrot, das in der Soße der Fleischspieße schwimmt, gegrillten Tomaten und natürlich dem König aller Kebab, dem Soltani, einem Lammspieß und einem Spieß mit Gehacktem.
Eskandar-Agha kann nicht schnell genug das saure Somackgewürz, die frische Butter und das Eigelb unter den Reis mischen, so sehr läuft ihm dabei das Wasser im Mund zusammen. Damit nicht genug, bestellt Agha-Javad nach dem Tee auch noch Eiscreme mit harten Milchrahmstückchen und Pistaziensplittern darin. Und bevor er anschließend seinen frisch aufgebrühten Tee mit Kardamom und Datteln zu sich nehmen kann, muss Eskandar-Agha sich erst einmal die fetttriefenden Finger ablecken.
Agha-Javad selbst scheint nicht besonders hungrig zu sein, denn statt zu essen, stellt er eine Frage nach der anderen, und für den nächsten Freitag verabredet er sich gleich wieder mit Eskandar-Agha.
Er ist ein Spion, sagen die Nachbarn im Hof.
Eskandar-Agha aber macht die nimmersatte Neugierde von Agha-Javad nichts aus, im Gegenteil, je größer sie wird, desto spendabler wird er, und Eskandar-Agha gewöhnt sich schnell daran, freitags von seinem neuen Freund ausgeführt und ausgefragt zu werden.
Am fünften oder sechsten Freitag trinkt Eskandar-Agha nach dem Essen seine Buttermilch aus und stellt sein leeres Glas vor Javad-Agha. Während der ihm wie gewohnt nachschenkt, greift Eskandar-Agha nach seinem Fotoapparat, richtet ihn auf Javad-Agha und drückt auf den Auslöser. Das ist eine Angewohnheit von mir, sagt er. Sobald ich jemanden zu meinen Freunden zähle, mache ich eine Fotografie von ihm. Es ist zwar nicht billig, aber die Freude, die es mir bereitet, ist mir das Geld wert.
Und was machen Sie dann mit den Bildern?
Nichts. Ich lege sie in einen Karton, als Erinnerung für meine alten Tage.
Sie hätten mich warnen sollen, sagt Javad-Agha, dann hätte ich mir das Gesicht gewaschen und das Haar gekämmt.
Der ist kein Spion, sagt Eskandar-Agha zu seinen Nachbarn. Sonst hätte er sich nicht ablichten lassen.
Und wenn gerade das sein Trick ist?, fragen die Nachbarn. Damit will er doch nur letzte Zweifel ausräumen.
Wie auch immer, beruhigt Eskandar-Agha seine Nachbarn. Nun habe ich eine Fotografie von ihm.
Und was machen Sie damit?
Ich könnte zur Polizei gehen.
Und wenn er kein Spion ist und Sie ihn zu Unrecht denunzieren?, fragen die Nachbarn. Und wenn er doch ein Spion ist, kommen Sie selber in Schwierigkeiten, warnen sie Eskandar-Agha. Und wenn er mit der Polizei zusammenarbeitet?, fragen sie
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