Eskandar: Roman (German Edition)
an. Als er seinen Mund aufmachen und sie fragen will, was sie von ihm will, öffnet sie eine Tür und verschwindet dahinter. Eskandar-Agha ruft nach ihr, zieht und zerrt an der Tür, kann sie aber nicht öffnen.
Erst am Morgen, als Eskandar-Agha gerade sein zweites Gläschen Tee trinkt, fällt ihm ein, dass er die Tür, hinter der seine Aftab-Khanum verschwunden ist, kennt. Es ist die von dem Haus von Roxana-Khanum.
Ich habe mir selber und vor meinem Gott geschworen, dass ich anders sein würde als mein eigener Vater und mein eigenes Kind niemals schlagen würde, sagt Eskandar-Agha vor sich hin. Er sieht seine Tochter an, die ihn anlächelt. Ich habe versagt, doch meine Aftab-Khanum ist mir im Traum erschienen und hat mir den Weg gewiesen, sagt Eskandar-Agha, küsst seine Tochter und fasst einen Entschluss. Er packt abermals seine Sachen, mietet eine Droschke und lässt sich und seine Tochter in den Norden der Stadt zum Haus von Roxana-Khanum fahren.
Zwei oder noch mehr Jahre sind vergangen, seit Eskandar-Agha das letzte Mal dort gewesen ist, er weiß nicht, was ihn erwartet, und ist auf alles gefasst.
Sie sind es, sagt Roxana und starrt Eskandar-Agha, die kleine Sahra und die Bündel an, bis hinter ihr Nimtadj auftaucht. Sie ist ein hoch gewachsenes, neun- oder zehnjähriges Mädchen mit wachen Augen und, wie sich zeigt, noch größerem Mut geworden. Als hätten sie sich gestern erst voneinander verabschiedet, sagt sie, Sie müssen eine Menge Geschichten für mich gesammelt haben. Dann deutet sie auf Sahra und fragt, schläft sie auch auf dem Boden?
Bevor irgendjemand anderer auch nur den Mund aufmachen kann, sagt Nimtadj, wir müssen das Zimmer fertig machen. Und das Mädchen braucht anständige Kleider. In diesen Hemdchen kann sie unmöglich herumlaufen.
Manchmal ist sie schlimmer als Mahrokh-Khanum, entschuldigt Roxana das Verhalten ihrer Tochter.
Nimtadj sieht ihre Mutter nicht einmal an, als sie erklärt, Mahrokh-Khanum sagt, meine Mutter ist Kommunistin.
Bitte bringen Sie die Sachen in ein Gästezimmer, sagt Roxana zur Dienerin.
Khanum, Sie sind zu gütig, meine Sahra und mich als Ihre Gäste aufzunehmen, aber wenn Sie gestatten, möchte ich nicht im Gästezim mer schlafen, sondern im Gärtnerhaus, sagt Eskandar-Agha und hofft, Roxana durchschaut seinen Plan nicht.
Ist doch alles ganz einfach
In einer Vollmondnacht, zwei Monate später, als Nimtadj, Sahra und ihr Bruder Eskandar, der seit seiner letzten Reise zu den Farangi Alexander genannt werden will, längst schlafen, hocken Eskandar-Agha und Roxana auf der riesigen Terrasse vor ihrem Haus, trinken Tee aus dem Samowar und genießen den Blick auf den herrlichen Garten mit seinen prächtigen Bäumen, Büschen und Blumen, die mit ihrem Duft die nächtliche Luft schwängern.
Seit Sie sich darum kümmern, wachsen und gedeihen unsere Pflanzen und Blumen wie noch nie, sagt Roxana.
Ohne Ihre Hilfe, sagt Eskandar-Agha, hätte ich Sahra zu ihrer Mutter zurückbringen müssen. Solange ich lebe, werde ich in Ihrer Schuld stehen, verehrte Roxana-Khanum.
Sie machen mir ein schlechtes Gewissen, sagt Roxana.
Ein schlechtes Gewissen? Eskandar-Agha tut, als wüsste er nicht, wovon Roxana spricht.
Sie sind wie ein Vater, ein Bruder für mich gewesen. Sie waren selbst noch ein Kind, als Sie für mich gesorgt haben. Sie haben mich ernährt, sich um mich gekümmert. Ich habe es schon einmal gesagt und meine es auch so, Ihnen habe ich zu verdanken, dass ich überhaupt am Leben bin.
Eskandar-Agha schweigt, genießt und wartet.
Ich sollte Ihnen einen Ehrenplatz in unserem Haus einräumen, sagt Roxana und spielt mit dem Saum ihres Kleides, wie damals als kleines Mädchen, wenn sie ein schlechtes Gewissen hatte. Stattdessen wohnen Sie im Gärtnerhaus. Das tut mir aus ganzer Seele weh, sagt sie und sieht Eskandar-Agha an. Aber Sie wissen es ja selbst, wie die Leute sind, sie reden schnell und machen einem das Leben schwer.
Ich bin zufrieden, sagt Eskandar-Agha. Das Gärtnerhaus ist der beste Ort, an dem ich je gelebt habe. Das ist die Wahrheit, sagt er, als er den ungläubigen Blick Roxanas sieht. Anders als die meisten Menschen habe ich sogar Strom, und ich habe sauberes Trinkwasser aus den Bergen. Khanum, im Süden der Stadt, da wo ich herkomme, hatten wir nichts, es gibt dort keine Kanalisation für Abwasser, kein sauberes Trinkwasser, keinen Strom, nicht einmal Gas, die Gassen sind nicht asphaltiert. Sie glauben mir nicht, sagt Eskandar-Agha, und doch sind
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