Eskandar: Roman (German Edition)
und bekommt sie. Erleichtert nimmt er die Munition aus dem Gewehr, zusammen nehmen sie die Waffe auseinander und werfen sie über die nächstbeste Mauer in einen Hof, wo die Teile laut krachend aufschlagen. Zieh deine Jacke aus, sagt Eskandar-Agha, legt sie für jedermann sichtbar auf den Bürgersteig, damit die Leute sehen können, hier hat wieder ein mutiger junger Mann eine richtige Entscheidung getroffen. Dann gibt er dem Soldaten seine eigene Jacke und sagt, trag meine Kiste und folge mir.
Wohin bringst du mich?, fragt der Soldat und sieht Eskandar-Agha voller Angst an.
In den Norden der Stadt, sagt Eskandar-Agha außer Atem. Von dort kannst du dich über Shemiran in die Berge schlagen und -
In den Bergen kenne ich mich aus, unterbricht der Soldat Eskandar-Agha. Ist doch ganz einfach. Die Sonne wird mir die Richtung weisen, und die Felsen werden mich beschützen.
Doch nur ein paar Kreuzungen weiter geraten die beiden in eine Gruppe Demonstranten, die ihre Plakate schwingen und lauthals Parolen brüllen. Es stellt sich heraus, sie gehören zur kommunistischen Tudeh-Partei und stehen auf der Seite des verehrten Premiers.
Eskandar-Agha begrüßt sie als Brüder und will gerade die Geschichte des Soldaten erzählen, da packt sein neuer Freund ihn am Arm, nennt ihn Vater, sagt, komm, wir müssen uns beeilen, unsere kranke Mutter wartet auf ihre Medizin.
Das sind weder Kommunisten gewesen, noch stehen sie auf der Seite des Premiers, sagt der Soldat, als sie wieder allein sind. Glaub mir, Väterchen, ich kenne diese Leute, wir haben Befehl, sie ziehen zu lassen.
Was? Wie ist das möglich?, fragt Eskandar-Agha ungläubig.
Das sind Agenten, die von den Engelissi bezahlt werden. Sie haben nichts anderes zu tun, als Mossadegh in den Ruf zu bringen, mit den Kommunisten unter einer Decke zu stecken. So wollen der König und die Engelissi dem iranischen Volk und den Amrikai Angst vor den Kommunisten einjagen.
Und wofür soll diese Angst gut sein?, fragt Eskandar-Agha.
Ist doch ganz einfach, erklärt der Soldat, wenn die Gefahr des Kommunismus groß genug ist, werden die Amrikai sich auf die Seite der Engelissi schlagen und ebenfalls ihre Kriegsschiffe in den Persischen Golf und ihre Soldaten in den Kampf gegen unser Volk schicken. Ist doch ganz einfach, erklärt der Soldat.
Ist doch ganz einfach, wiederholt Eskandar-Agha.
Einfach und sauber eingefädelt, sagt der Soldat. Gegen die Angst vor einem kommunistischen Iran kommt niemand so leicht an.
Alle Achtung, mein Sohn, sagt Eskandar-Agha anerkennend. Wer hätte gedacht, dass der Soldat, der mich beinah getötet hätte, einen derart klugen Kopf hat.
Eskandar-Agha muss schmunzeln, denn er weiß schon jetzt, wie der letzte Satz lauten wird, mit dem er diese Geschichte beenden wird: Hätte dieser junge Soldat sich nicht umstimmen lassen, hätte er mich stattdessen, wie es seine Pflicht und sein Auftrag gewesen sind, getötet, wäre mir wenigstens ein Trost geblieben, nämlich dass ein kluger und gebildeter Mann meinem irdisches Leben ein Ende bereitet hat.
Ist doch alles ganz einfach.
Eisenhower kommt, Truman geht und nimmt die Hoffnung der Iraner mit sich
Mit seiner zweijährigen Tochter Sahra auf dem Arm und zwei ofen warmen Fladenbroten unter dem Arm steht Eskandar-Agha vor dem Studenten und kann es nicht fassen, wie es möglich ist, in einer Stadt mit immerhin zwei Millionen Menschen ausgerechnet ihm über den Weg zu laufen.
Das ist ein Zeichen Gottes, sagt der Student. Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich jemanden zu Ihrem alten Haus geschickt, um Sie zu bitten, wieder für uns zu arbeiten. Wir brauchen jeden Mann, dem wir vertrauen können. Mossadegh hat so viele Feinde, dass -
Lieber, verehrter Agha, unterbricht Eskandar-Agha den Studenten und versucht, sich an ihm vorbeizuschieben. Meine Zeit ist längst abgelaufen. Ich habe genug erlebt und gesehen und auch genug für dieses Land gelitten und getan. Jemand in meinem Alter ist für niemanden von Nutzen. Und in Zeiten wie diesen, in denen man wegen kleinster Vergehen im Gefängnis Seiner Majestät landet oder sogar mit seinem Leben bezahlt, bleibe ich der Politik lieber fern, flüstert Eskandar-Agha und drückt seine Sahra fester an sich.
Der Student nickt verständnisvoll und kneift Sahra lächelnd in die Wange. Haben Sie gehört?, fragt er. Wir haben unseren Freund im Weißen Haus verloren. Truman ist nicht mehr Präsident der Amrikai. Und der Neue, Eisenhower, scheint ein Angsthase zu
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