Eskandar: Roman (German Edition)
sind die Parolen und Stimmen seiner Gegner, der Schah-Befürworter, erklärt der Student, nimmt die Hände aus der Hosentasche und sieht Roxana besorgt an.
Worauf sie mit einem Mal gar nicht mutig dreinschaut, sondern aussieht, als würde sie sich am liebsten sofort in die schützenden Arme des Studenten werfen.
Sehen Sie, sagt der Student und zeigt aus dem Fenster. Es sind wieder Panzer vorgefahren, nur richten sie dieses Mal ihre Kanonenrohre nicht auf das Haus, sondern auf die Menschenmenge davor. Es ist traurig, sagt der Student. Noch vor ein paar Tagen haben die Menschen Parolen für den Premier gerufen. Aber er selber hat sie gebeten, zu Hause zu bleiben, und nun haben seine Gegner Position bezogen.
Lang lebe der Schah, dröhnt es von der Straße zu ihnen ans Fenster. Tod Mossadegh.
Was sind das für Leute da drüben auf den Dächern?, fragt Roxana und sieht ihren Studenten aus sehnsüchtig leuchtenden Augen an.
Rund um das Haus und an allen Kreuzungen und auf allen Dächern sind Soldaten postiert, sagt der Student und klingt, als würde er Roxana eine Liebeserklärung machen.
Eskandar-Agha, der Student und Roxana stehen am Fenster, als plötzlich Schüsse fallen. Roxana stößt einen Schrei aus. Eskandar-Agha packt sie am Arm, zieht sie vom Fenster weg, und im nächsten Moment schie ßen die Wachen, die das Haus des Premiers beschützen, zurück.
Das sind die Unruhestifter, ruft der Student in den Lärm der Schüsse. Sie haben ihre Waffen von den Farangi bekommen. Dann sieht der Student Eskandar-Agha vorwurfsvoll an und ruft: Ich wünschte, Roxana-Khanum und Sie wären nicht hierhergekommen.
Masha-allah, sehen Sie, Khanum, sogar der verehrte Student ist meiner Meinung, ruft Eskandar-Agha und zieht den Kopf ein, weil wieder ein Schuss durchs Fenster in die Decke einschlägt.
Stunde um Stunde wird die Schießerei heftiger. Immer mehr Scharfschützen besetzen die gegenüberliegenden Häuser, und immer mehr regierungstreue Soldaten werden angefahren, um die Häuser und Wohnungen zu stürmen, um die Scharfschützen von den Dächern zu holen.
Die Telefonleitungen sind tot, auch das Radio schweigt, und keiner weiß, wie die Lage im Rest der Stadt aussieht, ruft der Student.
Ich werde hinausgehen, bietet Eskandar-Agha mutig an und hofft, dass Roxana um sein Leben bangen und ihn davon abhalten wird.
Seien Sie vorsichtig, sagt Roxana und drückt ihm den zweiten flüchtigen Kuss des Tages auf die Stirn.
Es lebe der Schah, schreibt Eskandar-Agha mit großer Schrift auf einen Karton, rennt damit in den Keller und auf den Hinterhof und von dort auf die Straße, wo er die Pappe hochhält und sich beeilt, aus dem Viertel hinauszukommen.
Sobald er die Gegend um Mossadeghs Haus und die Schießereien hinter sich lässt, wirft Eskandar-Agha seinen Pappkarton auf die Straße und lässt es sich nicht nehmen, rasch darauf herumzutrampeln, bevor er weiter in Richtung Süden geht.
Nimm, Bruder, sagt ein Mann an der nächsten Kreuzung und drückt dem verdutzten Eskandar-Agha einen Ein-Toman-Schein in die Hand.
Das Gleiche passiert an der nächsten und übernächsten und beinah allen Kreuzungen, bis zum Tupkhaneh. Männer drücken Passanten und Demonstranten Ein-Toman-Scheine in die Hand und erwarten dafür nicht viel. Sie sollen lediglich Schah-freundliche und Mossadegh-feindliche Parolen rufen.
Und tatsächlich ertönt es von überall her: Lang lebe der Schah, Tod Mossadegh.
Je länger Eskandar-Agha unterwegs ist, desto mehr bekommt er es mit der Angst zu tun. Soldaten, Polizisten, Basari, Händler, Pahlewan aus der ganzen Stadt, ob sie nun bezahlt sind oder nicht, alle scheinen sich auf die Seite des Königs geschlagen zu haben.
Als wäre er ein Schutzschild, hält Eskandar-Agha seinen Fotoapparat vor den Bauch und macht heimlich Aufnahmen. Von wütenden Männern, die das Postamt stürmen; von Männern, die andere verprügeln, mit Fäusten auf sie einschlagen und, als sie längst auf dem Boden liegen, mit Füßen treten, weil sie sie für Anhänger von Mossadegh halten.
Überall sieht Eskandar-Agha Verletzte, sogar Tote. Von einem Mann, der mit seinem Bauchladen an der Ecke steht und Zigaretten verkauft, hört er, Schah-Treue aus dem ganzen Land sind auf den Weg in die Hauptstadt. Und Eskandar-Agha muss daran denken, wie auch er vor ewigen Zeiten zusammen mit tausenden Nationalisten aus dem Süden des Landes in die Hauptstadt gezogen ist.
Eskandar-Agha muss sich beeilen, von der Straße zu kommen, denn zwei
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