Eskandar: Roman (German Edition)
Gebet aus, und Roxana befiehlt den Kindern, die Fenster hochzukurbeln.
Khanum, ich beschwöre Sie, lassen Sie uns umkehren, bittet Eskandar-Agha. Jeder weiß, dass der Lokalbesitzer ein Anhänger von Mossadegh ist. Khanum, bis jetzt ist alles gut gegangen, lassen Sie uns das Schicksal nicht herausfordern.
Bitte, parken Sie, befiehlt Roxana mit entschiedener Miene dem Chauffeur.
Denken Sie an die Kinder, sagt Eskandar-Agha.
Genau das tue ich, antwortet Roxana. Sie steigt aus und hilft den Kindern aus dem Auto. Herr Chauffeur, sagt sie, es wäre mir eine Freude, wenn Sie uns ebenfalls begleiten.
Khanum, wenn Sie erlauben, möchte ich lieber beim Auto auf Sie warten.
Nein, antwortet Roxana. Das erlaube ich nicht. Kommen Sie.
Im Lokal marschiert Roxana wie ein General voraus, steuert einen Tisch an, der groß genug für alle ist. Selbstbewusst bestellt sie für alle Reis, Fleischspieße, Fladenbrot, Joghurt, Buttermilch, gegrillte Tomaten, Butter, Gewürze und eingelegte Kräuter.
Pepsi-Cola, ruft Nimtadj.
Pepsi für alle, sagt Roxana lächelnd. Und Sie brauchen sich auch nicht zu beeilen, wir haben Zeit.
Khanum, Sie sind zu gütig, bedankt der Wirt sich. Heutzutage besitzen nicht mehr viele Menschen das nötige Geld, in einem Gasthaus zu speisen. Und von denen, die es sich leisten könnten, bringen viele den nötigen Mut nicht auf, den Panzern und Gewehren des Königs zu trotzen und mein Lokal aufzusuchen. Masha-allah, Khanum, sagt der Wirt, nimmt das Tuch von der Schulter und wischt den sauberen Tisch noch einmal ab. Möge Allah Ihnen und den Ihrigen ein langes und segensreiches Leben schenken.
Alles geht gut bis zu dem Moment, als der Wirt die saftigen und duftenden Fleischspieße und den Reis auf den Tisch stellt. Da werfen die Panzerführer ihre Motoren an, verbreiten einen Höllenlärm und dazu unerträglichen Gestank. Sie drehen und wenden ihre Kanonen, bewegen ihr schweres Gefährt, worauf das ganze Lokal bebt und auf dem Tisch das Geschirr wie beim Erdbeben klappert und durchgerüttelt wird.
Die Erwachsenen täuschen Gelassenheit vor, auch Nimtadj und Alexander versuchen ihre Angst zu verbergen, die kleine Sahra aber klettert auf den Schoß ihres Vaters, hält sich die Ohren zu und schreit, so laut sie kann, bis schließlich auch Nimtadj und Alexander Angst bekommen und weinen und ihre Mutter anbetteln, das Lokal zu verlassen.
Genau in dem Moment, als Roxana schließlich aufgibt und zahlt und sie das Lokal verlassen wollen, stürmen mit Knüppel bewaffnete Schläger das Lokal. Sie brüllen, beschimpfen die Gäste als Spione, Agenten, Kommunisten, Verräter, Anhänger von Mossadegh und verprügeln jeden, der nicht rechtzeitig flüchten kann. Tische, Stühle, Teller, Schalen samt Inhalt fliegen durch die Luft. Die Schläger greifen sich den Fahrer, den Wirt, sein Personal, Roxana und ihre Kinder, den Studenten und Eskandar-Agha mit der kleinen Sahra auf dem Arm und zerren und schubsen sie hinaus auf die Straße, verfrachten sie in Kleinbusse und Autos und bringen sie auf ein Polizeirevier, wo sie alle in einen Raum mit einer schweren Eisentür eingesperrt werden.
Ist es das, was Sie gewollt haben?, fragt Eskandar-Agha vorwurfsvoll. Dass Sie und ich und unsere Kinder erniedrigt, gefangen genommen und wie Verbrecher behandelt werden?
Roxana antwortet nicht, umarmt ihre Nimtadj und Alexander und versucht ihnen die Angst zu nehmen.
Als die Kinder pinkeln müssen, ruft zuerst Roxana, dann schreien auch die Kinder und schließlich Eskandar-Agha und der Student nach den Wachen, aber niemand kommt. Also hocken die Kinder sich einer nach dem anderen in die Ecke der Zelle und finden es sogar lustig. Irgendwann in der Nacht wacht Eskandar-Agha auf, hält es nicht mehr aus und pinkelt ebenfalls. Dann tun es auch der Student und der Wirt und schließlich sogar Roxana-Khanum.
Wir können froh sein, wenn wir außer diesem Gestank und ein paar Blessuren nichts abbekommen, schimpft Eskandar-Agha.
Ich bereue nichts, verkündet Roxana mit schmalen Lippen. Im Gegenteil, es ist gut, dass ich selbst und wir alle am eigenen Leib erfahren, in was für einem Land wir leben. Dann kniet sie vor Nimtadj und Alexander, sieht sie lange an und sagt: Kinder, ich möchte, dass ihr niemals die Augen vor der Wahrheit verschließt, und ich möchte, dass ihr wisst, es ist unser aller Pflicht zu kämpfen, solange es Ungerechtigkeit und Missstände in unserer Heimat gibt.
Während der Wirt am liebsten ihrer kleinen Rede Applaus
Weitere Kostenlose Bücher