Eskandar: Roman (German Edition)
vorkommt, als wären sie nicht nur Gestalten aus einer Geschichte, sondern richtige Menschen. Menschen, denen er jederzeit begegnen könnte, mit denen er sein Brot teilen und die seine Weggefährten sein könnten.
Ich werde mir ebenfalls eine Aishe suchen, nimmt er sich vor. Ich werde für sie sorgen und über sie bestimmen.
Verloren in dieser wunderbaren Vorstellung, bemerkt Eskandar erst im zweiten Augenblick das Licht der Laterne und das leise Klimpern und Rasseln von Zaumzeug der Droschke, die vor dem Haus von Frau-Rohan steht und die gesamte Breite der Gasse ausfüllt. Doch dann sieht er den großen Mann, der an der Mauer lehnt und eine große ausländische Zigarre raucht, und er weiß sofort, es ist sein Mesterr-Richard.
Ohne dass er jemals zuvor Derartiges gesehen oder gar getan hätte, ohne dass er weiß, aus welchem Grund er es jetzt tut, rennt Eskandar los, wirft sich dem Ausländer in die Arme und klammert sich an ihm fest. Sein Herz hämmert, und sein Körper bebt, und weil der Mesterr lacht und anscheinend nichts dagegen hat, dass Eskandar sich merkwürdig benimmt, drückt er sein Gesicht an das des Farangi und versinkt in seiner festen Umarmung.
How are you?, fragt der Kanadier.
Eskandar lächelt und sagt die neuen Farangi-Wörter, die er von Tajelmoluk gelernt hat.
Woher kennst ausgerechnet du Ausländerworte?, hat Eskandar sie gefragt. Sie hat die Nase in die Luft gereckt und sich wichtig gemacht. Ich habe eben auch meine Verbindungen, hat sie geantwortet. Jedenfalls hat Eskandar sich ihre Worte eingeprägt und findet, jetzt ist der richtige Moment, sie zu sagen: You are mai frend. I loowyuu.
Erdöl ist zäh und stinkt
Dass er nur für ein paar Tage ins Lager darf, findet Eskandar schon schlimm genug. Dann erfährt er aber auch noch, dass es sein letzter Besuch sein wird und er nur dort sein darf, um sich endgültig von seinem Farangi-Freund zu verabschieden. Trotz all der Löcher und all der Jahre haben die Ausländer nämlich das ersehnte Petroleum nicht gefunden. Und nun will der Mesterr, der das alles bezahlt, dass sie ihre Sachen packen und nach Hause kommen.
Ich komme mit und werde der Freund von deinem Sohn, sagt Eskandar und lächelt wie der Kanadier. Ich kann die Schuhe in deinem Haus putzen, den Boden fegen und mein Brot und meinen Schlafplatz verdienen.
Sei nicht frech, sagt der Übersetzer.
Was hat der Junge gesagt?
Er hat gesagt, Sie sind der einzige Mensch, den er hat, übersetzt der Moteardjem.
Wer weiß, sagt der Farangi, um Eskandar aufzumuntern. Vielleicht geschieht ja ein Wunder, und wir finden dieses gottverdammte Naft doch noch. Unser Chef, Mister Reynolds, sagt, wir sollen die Arbeit fortsetzen und unsere Abreise bis zur letzten Minute hinauszögern. Er glaubt, mindestens zwei Wochen kann er herausschinden.
Der Übersetzer verdreht die Augen. Junge, mach dir keine falschen Hoffnungen. Sieh dich um, die sind froh, diese Hölle endlich verlassen zu können. Sie packen längst. Acht lange Jahre schleppen sie nun schon Tonnen von Zeug, Maschinen, Rohre, Bohrer, Zelte, indische Soldaten, iranische Übersetzer, Ingenieure, Arbeiter und jetzt auch noch dich kreuz und quer durch das Land und bohren überall Löcher. Warum sollen sie ausgerechnet jetzt Naft finden? Sei kein Esel, sagt der Übersetzer. Hör auf zu träumen.
Mit verschränkten Armen kämpft Eskandar mit den Tränen. Und er wünscht sich, er wäre groß und unbesiegbar wie Prophetmohammad, dann würde er diesem Übersetzer schon verbieten, so mit ihm zu reden.
Bei Gott, manchmal glaube ich, es ist nicht nur besser für uns und unser Land, sondern für die gesamte Welt, sagt der Übersetzer, wenn diese Kafar nichts finden und dahin zurückgehen, woher sie gekommen sind.
Das Wunder wird geschehen, sagt Eskandar mit zusammengekniffenen Augen. Dann stampft er davon und verschwindet in die Dunkelheit der Wüste.
Als der Kanadier zusammen mit seinen zwei Hunden und dem Übersetzer ihn schließlich findet, liegt Eskandar flach auf dem Bauch, er presst sein Ohr auf den Boden, hält den Atem an und horcht. Als wäre er ein Bohrer, schiebt Eskandar einen Granatapfelstock in den Wüstensand, drückt das obere Ende an seine Brust, sieht in den Himmel und murmelt das Gebet, das er vom Akhund gelernt hat und sagen soll, wenn er unbedingt etwas vom Allah will.
Der Übersetzer schüttelt den Kopf. Saheb, ich glaube, nun hat der Junge den Verstand verloren. Und zu Eskandar sagt er: Ahay, willst du dich und deine
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