Eskandar: Roman (German Edition)
bewegen, ohne unterzugehen. Am liebsten aber mag Eskandar die Geschichte von dem kleinen Jungen, mit dem Namen Moses, den seine Mutter auf dem Fluss ausgesetzt hat und der nur überlebt hat, weil sie seinen Korb mit diesem mysteriösen Teer wasserdicht gemacht hat.
Ich flehe dich an, sagt der Übersetzer, hör endlich auf zu lächeln und zu nicken, damit der Saheb nicht endlos weitererzählt. Bitte, Junge, hab Erbarmen mit einem armen Landsmann.
Veery gudgud, sagt Eskandar und schenkt Tee in alle drei Gläser.
Der Kanadier freut sich über so viel Interesse an seinen Ausführungen und erzählt, manchmal haben wir großes Glück. Sobald wir mit dem Bohrer auf das unterirdische Öldepot stoßen, platzt es, und das Naft schießt aus dem Boden. Alles, was wir dann noch tun müssen, ist, es aufzusammeln. Es kann Jahre dauern, bis es nicht mehr von alleine an die Oberfläche gedrückt wird.
Gudgud, sagt Eskandar, und zur Freude des Moteardjem fallen ihm vor Müdigkeit die Augen zu. Er sagt nur noch: Ihr werdet das Naft finden. Dann rutscht Eskandar tiefer in sein Kissen und schläft ein.
Am nächsten Tag muss Eskandar enttäuscht mit ansehen, dass die Farangi kaum noch arbeiten, stattdessen packen sie die Sachen, die sie wieder mitnehmen wollen, in Kisten und Koffer und verschenken, was sie nicht mehr brauchen. Ein Arbeiter bekommt sogar ein paar schwere Stiefel geschenkt, zieht sie sofort an und marschiert damit stolz durchs Lager.
Auch Eskandar hofft, dass er vielleicht eine ausländische Hose und Hemden mit den vielen Taschen und Knöpfen bekommt.
Am Mittag, als die Sonne senkrecht über dem Lager steht und alles und jeden mit ihrer Hitze verbrennt, sieht Eskandar, wie ein Engelissi seinen schweren Topfhut vom Kopf nimmt, ihn auf einen Stuhl legt, in sein Zelt geht, gleich wieder herauskommt und ein Gesicht macht, als hätte er einen Geist gesehen. Ein iranischer Arbeiter hat nämlich seinen wertvollen Hut genommen und ihn aufgesetzt. Der Engelissi schimpft und schreit so laut, dass ein paar andere Ausländer und Koloniesoldaten angerannt kommen und den Arbeiter mit vorgehaltener Waffe umzingeln. Der Mann will den Hut zurückgeben, aber nun will der Ausländer ihn nicht mehr, und zur Strafe befiehlt er dem iranischen Arbeiter, den Hut zu tragen und ja nicht auf die Idee zu kommen, ihn auch nur einen Moment abzunehmen.
Der Arbeiter setzt den Hut auf, schaufelt und hackt, bis er schnauft und keucht und keine Luft mehr bekommt und wie ein schwerer Sack umfällt und zu Boden geht. Seine Schaufel lässt er los, den Hut aber hält er fest, damit er ihm nicht vom Kopf fällt.
Das ist eine gute Lektion für dich, sagt der Übersetzer zu Eskandar. Es hat schlimme Folgen, wenn einer wie du und ich die Sachen der Ausländer anfasst oder sie gar benutzt.
Bei mir und Mesterr-Richard ist das anders, antwortet Eskandar und klingt wie einer, der selbst nicht glaubt, was er sagt.
Nach der vierten Nacht, die Eskandar draußen in der Wüste bei seinem vermeintlichen Fundort verbringt, findet er einen Skorpion unter seiner Decke. Er zermalmt ihn mit dem Stein seiner Mutter und schiebt ihn in das Loch, das er mit seinem Stock gemacht hat. Dann nimmt er seine Sachen, geht ins Lager zurück und verliert kein weiteres Wort mehr darüber, dass es an dieser oder einer anderen Stelle Naft oder überhaupt etwas gibt, was für die Farangi von Interesse sein könnte. Ich will in die Stadt zu meinem Unterricht zurück, sagt er.
In ein paar Tagen wird die Droschke dich mitnehmen, und zwar unabhängig davon, was du gerne tun oder nicht tun, haben oder nicht haben möchtest, sagt der Übersetzer mit einer gewissen Schadenfreude.
Doch dann geschieht, wie so oft in Eskandars kurzem Leben, etwas, womit er nicht gerechnet hätte. Er wacht auf, weil die Erde wackelt. Er hat keine Angst, denn es ist nicht das erste Erdbeben, das er erlebt, und im Lager unter Gottes freiem Himmel gibt es schließlich nichts, was ihm auf den Kopf fallen und ihn erschlagen könnte. Als dann aber das Rumpeln und Rütteln nicht aufhört, es obendrein zischt und kracht, alle aufwachen, Männer, Soldaten, Pferde und Arbeiter durcheinanderrennen, Sachen, Geräte, Töpfe, Rohre, Hüte, Schuhe von der einen zur anderen Seite schleppen, bekommt auch Eskandar es mit der Angst zu tun und schreit, so laut er kann.
Die Hunde knurren und bellen, beißen sich gegenseitig und auch einen der Kollonimänner. Der fette Koch ist unter einem riesigen Kochtopf verschwunden, man sieht
Weitere Kostenlose Bücher