Eskandar: Roman (German Edition)
hinauszubringen. Du kannst so viele Tage und Wochen zählen, wie du willst, schimpft sie. Niemand wird dich abholen. Schließlich hat einer wie der Mesterr keinen Schaden in seinem Gehirn. Der ist froh, dass er dich los ist.
Eskandar gewöhnt sich an sein neues Leben. Er erledigt seine Aufgaben, ohne sich zu beschweren. Sogar Arbeiten, die ihm keiner aufträgt, macht er. Er beschneidet den Maulbeerbaum in der Ecke des kleinen Hofs. Er pflanzt einen Setzling und bringt von den Feldern hinter dem Haus Blumen mit, die er in Töpfe pflanzt. Er lässt dem Huhn ein Ei, ein Küken schlüpft und wird bald zur Henne, die Eier legt. Abends trinkt Eskandar seinen Tee und isst das restliche Brot vom Morgen, mal mit, mal ohne Joghurt. Noch während er auf dem letzten Brocken kaut, trägt er sein Teeglas hinaus in den Hof und spült es. Dabei versucht Eskandar die Goldfische, die friedlich im Becken hin und her schwimmen, nicht zu erschrecken.
Zünde die Laterne an und bring sie mit ins Zimmer, ruft Frau-Rohan. Sie sitzt auf dem Boden an der Fensterbank, näht oder stopft etwas oder hat ihre Beine ausgestreckt, reibt ihre geschwollenen Knie und starrt ins Leere. Tajelmoluk mit ihrem dicken Bauch liegt da und schnarcht längst. Eskandar hockt sich in seine Ecke auf den Boden an der Fensterbank und malt Striche und Kurven auf seine Zettel, bis seine Finger steif werden. Der Akhund hat nämlich gesagt, wenn er das lang genug macht, wird er eines Tages in der Lage sein, den Namen Gottes und andere nützliche Dinge zu schreiben. Und bis es so weit ist, muss er in seinen Unterricht kommen und kann weder ins Lager noch sonst wohin.
Immer wenn der Akhund Geschichten erzählt, vergisst Eskandar, an seinen Mesterr-Richard zu denken. Die über einen Mann mit Namen Prophetmohammad mag Eskandar so sehr, dass er sich vornimmt, später zu werden wie er. Prophetmohammad ist stets mutig und barmherzig gewesen, er hat viele Feinde gehabt, die er alle besiegt hat, und er hat viele Kriege geführt, die er alle überlebt hat.
Auch die Geschichten von der Verwandtschaft von Prophetmohammad hört Eskandar gerne, und er muss weinen, als der Akhund von der Krankheit und dem Tod von Fateme, der Tochter des großen Mannes, erzählt.
Nehmt euch ein Beispiel an ihm, sagt der Akhund, und die anderen Jungen sehen Eskandar verächtlich an. Sie wollen nach Hause, es ist spät, und der Duft des Gheymeh, das die Akhund-Frau gekocht hat, zieht ins Zimmer, und ihre Magen knurren noch lauter. Aber Eskandar zeigt so viel Interesse an den Geschichten des Mullah, dass der einfach nicht mehr aufhören kann zu erzählen. Selbst dann nicht, als es draußen längst dunkel ist und der Heimweg für die Jungen unheimlich und gefährlich wird; ganz zu schweigen davon, dass sie zu spät zum Essen kommen werden, was für die meisten bedeutet, dass sie hungrig ins Bett gehen müssen.
Der verehrte Prophetmohammad ist fünfzig Jahre alt gewesen, erzählt der Akhund, da hat er im Haus seines Gönners Abu-Bakr dessen schöne Tochter, die sechs Jahre alte Aishe, gesehen.
Ich begehre sie, hat er zu Abu-Bakr gesagt.
Du sollst meine Tochter haben, hat dieser geantwortet. Doch bitte gedulde dich, bis sie die Geschlechtsreife erlangt. Bis dahin soll kein anderer Mann sie jemals zu Gesicht bekommen.
Prophetmohammad hatte bereits einige Frauen in seinem Harem und willigte ein zu warten. Doch drei Jahre später wollte er nicht mehr warten und hat die schöne und bezaubernde Aishe mitgenommen und sie zu seiner Frau gemacht.
Weil das Nachahmen von Prophetmohammad für jeden gottesfürchtigen Moslem heilige Pflicht ist, müssen wir seinem Beispiel folgen und Frauen, die wir begehren, nicht einfach nehmen, sondern sie ehelichen und alle damit verbundenen Pflichten erfüllen, belehrt der Mullah die Jungen. Als Mann sind wir verantwortlich für die Sicherheit, das Wohlergehen und den guten Ruf der Frauen, die sich in unserem Besitz befinden. Wir haben Sorge zu tragen, dass sie uns gehorchen. Prophetmohammad hat bestimmt, wir sollen Frauen, die nicht gehorchen, züchtigen, wir sollen sie schlagen, einsperren oder sonst wie bestrafen, sagt der Akhund und entlässt die Jungen endlich aus seinem Unterricht.
Auf dem Weg zurück zum Haus von Frau-Rohan kann Eskandar nur an Prophetmohammad und die schöne Aishe denken. Sie muss glücklich gewesen sein, in der Obhut dieses gütigen und mächtigen Mannes zu leben. Eskandar denkt so viel über die schöne Aishe und Prophetmohammad nach, dass es ihm
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