Eskandar: Roman (German Edition)
schreien, damit ich gegen die Männer ankomme, verteidigt Eskandar sich.
Nach vierzehn Stunden anstrengendem Ritt, nach Staub schlucken, Durst, Hunger, Holz suchen, Feuer machen und für die Herrschaft die Zelte aufbauen und für uns selbst eine Schlafstelle einrichten, sagen die Männer, ist es eine Belästigung, dass ein Junge, selbst wenn er wie sonst ein Vogel klingen würde, uns auch noch die müden Ohren vollzwitschert.
Der Mullah ist empört und schweigt beleidigt.
Eskandar ist erleichtert, dass er nicht mehr gegen den Unwillen der Männer anschreien muss.
Hodjat, der für eine Gruppe von etwa hundert Männern verantwortlich ist und sie zu Kriegern ausbilden muss, hat einen guten Einfall. Statt die Verse des Koran aufzusagen, dessen Bedeutung niemand versteht, soll Eskandar Geschichten von Kämpfern, Helden und Pahlewan, wie die Männer selber es sind und werden wollen, erzählen.
Ich kenne nur Geschichten aus dem Koran und dem heiligen Islam, antwortet der Mullah, stimmt widerwillig zu und bringt Eskandar bei, was sich bei der Schlacht von Ashura ereignet hat.
Der verehrte, heilige Emam-Hossein ist wie ihr, verehrte Reiter, in die Schlacht gezogen, ruft Eskandar. Doch anders als ihr Kämpfer, die ihr furchtlos und mutig seid, haben die Männer in jener Zeit ihren Glauben vernachlässigt und den heiligen Hossein im Stich gelassen.
Was hat der Emam gemacht?, fragen die Männer und sind tatsächlich still, um die Antwort zu hören.
Der bemitleidenswerte Emam hat nicht aufgegeben, sagt Eskandar.
Also sag schon, was hat er getan?, fragen die Männer.
Er hat seine Angehörigen und Verwandten, zweiundsiebzig an der Zahl, darunter auch Frauen und Kinder, in den Kampf gegen den Feind mitgenommen.
Und dann?, fragen die Männer.
Sie alle sind den Märtyrertod gestorben, sagt Eskandar und zieht weiter zum nächsten Feuer und zur nächsten Gruppe. Und mit jedem Mal, das er die Geschichte vom bedauernswerten Emam erzählt, bekommt er mehr Mut und schmückt sie ein wenig mehr aus.
Beim vierten oder fünften Mal erfindet er so viel dazu, dass er selber weint und jammert, weil er von seinen eigenen Schilderungen hingerissen ist. Die Moslems haben den Heiligen im Stich gelassen, ruft Eskandar, springt auf, sackt dramatisch in sich zusammen und verbirgt das Gesicht in den Händen. Feige haben sie sich die Schleier ihrer Frauen übergezogen, sagt Eskandar, damit sie nicht als Männer erkannt werden und sich unbemerkt aus dem Staub machen können. Der Feind hat sich den Sohn des Emam gegriffen und ihn in Stücke gerissen, erfindet Eskandar und bringt ein paar Männer zum Weinen, andere springen auf, schwingen ihre Säbel und rufen: Tod dem Feind.
Der Mullah ärgert sich über Eskandar, weil er Dinge erfindet, die er ihm nicht beigebracht hat.
Aber er macht es richtig, sagt der große Arbab, der Khan. Genau damit stachelt er die Männer an und bringt sie in die richtige Stimmung für den bevorstehenden Kampf.
Aber ich habe keine andere Geschichte aus dem Koran parat, sagt der Mullah.
Dann bringt dem Jungen Geschichten aus dem Schah-nameh, dem Buch der Könige von Ferdowssii, bei, befiehlt der Stammesführer, bevor er sich erhebt, um das Quartier des Mullah zu verlassen.
Der Mullah beeilt sich, auf die Füße zu kommen, stolpert über seinen eigenen Umhang und fällt beinah zu Boden und dem Khan vor die Füße. Wie Sie befehlen, sagt er unterwürfig.
Junge, komm mit in mein Zelt, befiehlt der Khan, dreht sich auf dem Absatz um und eilt mit einer solchen Geschwindigkeit voraus, dass Eskandar Mühe hat, ihm zu folgen.
Kennst du meinen Namen?, fragt der Stammesführer, als sie vor seinem Zelt auf bequemen Kissen sitzen.
Eskandar schüttelt den Kopf.
Man nennt mich Palang-Khan, Führer der Tiger, sagt der Khan. Weißt du, was ein Tiger ist?
Wieder schüttelt Eskandar den Kopf.
Der Führer greift nach einem Bilderrahmen, der hinter ihm steht, und zeigt Eskandar das Bild einer riesigen Katze.
Noch immer bringt Eskandar kein Wort über die Lippen, stattdessen starrt er das Bild einfach nur an.
Falls du eines Tages nach Teheran kommen solltest, werde ich dir zeigen, was ein echter Tiger ist, sagt der Tiger lächelnd und in einem Ton, als würde er mit einem Freund sprechen. In meinem Anwesen habe ich einen männlichen und einen weiblichen Tiger, du wirst beeindruckt von ihnen sein.
Was Eskandar angeht, ist er bereits jetzt und vom Khan selber beeindruckt wie von keinem anderen. Noch nie hat er einen Mann gesehen,
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