Eskandar: Roman (German Edition)
der so vor Kraft strotzt und so groß ist. Nicht einmal Mesterr-Richard ist so groß und kräftig, und je länger Eskandar Palang-Khan ansieht, desto mehr Ähnlichkeit erkennt er tatsächlich zwischen dem Khan und dem Tier mit seinen funkelnden Augen auf dem Bild.
Der Khan streicht seine schwarzen Locken zurück, zieht seinen Dolch mit den glitzernden Steinen aus der Schärpe, und sofort sind drei oder vier Diener zur Stelle, die um ihn herumwirbeln, als würden sie einen Tanz aufführen. Der erste nimmt ihm den Dolch ab. Ein anderer wickelt die lange Bauchbinde auf und hilft dem Khan aus seinem schweren Rock mit den bunten und glitzernden Stickereien. Ein dritter bringt einen Krug und gießt Wasser in eine Schüssel, damit Palang-Khan sich die Hände waschen kann, während der erste Diener ihm fünf oder sechs schwere und funkelnde Ringe von den Fingern beider Hände zieht und vorsichtig eine Kette vom Hals des Khan nimmt, die aussieht wie ein Mann mit Flügeln.
Gut, gut, sagt Palang-Khan, und nun wollen wir uns setzen und essen und ich werde dir die Geschichte von Rostam, dem mutigsten aller unserer persischen Helden, erzählen.
Am nächsten Abend geht Eskandar von Feuerstelle zu Feuerstelle und ruft aus: Es war einer, es war keiner, außer Gott gab es niemanden. Eskandar schließt die Augen und stellt sich vor, Palang-Khan wäre jener Rostam, dessen Geschichte er den Männern erzählt.
Es gab einen Pahlewan mit Namen Rostam, ruft Eskandar. Er war kräftiger und stärker als jeder andere Mann und sogar stärker als die Div und Jinn. Rostam konnte einen Felsen, der größer war als er selber, vom Boden heben und ihn gegen seinen Feind werfen. Und er besaß einen Hengst, den er Rakhsh nannte, mit ihm zog er los und kämpfte gegen das Böse und Ungerechte. Und er ist stets der Sieger gewesen, selbst gegen den gefährlichsten aller Div, dem weißen Ungeheuer.
Manche Männer sind so beeindruckt von Eskandar und seiner Geschichte, dass sie vergessen weiterzukauen und ihn mit halb offenem Mund und Essen darin anstarren.
Der nächste iranische Held, dessen Geschichte Eskandar erzählt, ist Arash-Kamangir, Arash der Bogenschütze.
Als der König zum Kämpfen zu alt war keinen Krieg mehr wollte und sich mit seinem Feind geeinigt hatte, dass ein Pfeil die neue Grenze zwischen seinem Land und dem des Feindes bestimmen soll, hat er Arash-Kamangir zu sich gerufen und ihn beauftragt, vom Gipfel des Berges seinen Pfeil abzuschießen.
Arash hat die Kämpfer um sich versammelt und ist mit ihnen im Gebet versunken, dann hat er seine Brust entblößt, hat all seine Kraft aufgeboten und seinen Pfeil abgeschossen. Und der Pfeil ist geflogen und geflogen, weiter, als die Männer ihn sehen konnten. Und während der Pfeil noch geflogen ist, ist Arash selber zu Boden gesunken, und er hat seinen letzten Atemzug getan und sein Leben für die Heimat gegeben.
Wie bei der Geschichte über den Emam-Hossein weinen manche Männer, andere entblößen ihre Brust, greifen zum Bogen und schießen ihre Pfeile ab.
Als Nächstes erzählt Eskandar die Geschichte von Sahhak, dem gnadenlosen König. Jeden Tag musste er zwei seiner Untertanen töten. Denn zur Strafe für seine Maßlosigkeit und Ungerechtigkeiten hat Gott ihn bestraft und auf jeder seiner Schultern eine Schlange wachsen lassen, damit sie ihn auffressen. Aber so leicht hat Sahhak sich nicht kleinkriegen lassen. Er hat einen Weg gefunden, damit die hungrigen Bestien seinen Kopf verschonen. Jeden Tag hat er sie mit den Gehirnen von zwei Menschen aus seinem Reich gefüttert, damit ihr Hunger gestillt war, erzählt Eskandar auf eine Art, dass sich ihm selber die Nackenhaare aufrichten und er sich bei den Männern eine Menge Respekt verschafft.
Eskandar erzählt Geschichten und Märchen von Heiligen, Helden, echten und erfundenen Wesen. Er sagt Verse und Gedichte von persischen Denkern und Dichtern wie Hafez, Rumi und Khayyam auf. Er erzählt Begebenheiten aus der Vergangenheit des Iran. Und er erfindet wunderbare Bilder für eine Zukunft, in der die Verfassung endlich wirklich in Kraft tritt und der Iran ein Parlament haben wird.
Die Leibeigenen und Reiter drängen sich um ihn, spenden ihm Applaus und lassen ihn hochleben. Auf Stroh und Kissen richten sie ihm einen erhöhten Platz ein, damit sie ihn besser sehen und hören können, und wer kann, entlohnt Eskandar sogar. Mit Fleisch von gejagtem Wild; mit hübschen Nomadensteinen, die sie unterwegs finden; mit Brot, Tee, Salz und sogar
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