Eskandar: Roman (German Edition)
schaufelt Erde in die Gräber der Toten. Am Abend endlich kehrt sein Freund Hodjat zurück. Müde und nur mit kleinen Verletzungen, aber erschüttert und entsetzt.
Wie viele hast du getötet?
Ich wünschte, ich hätte keinen getötet. Jeder von ihnen hat wie du und ich eine Mutter, einen Vater, eine Frau und Kinder.
Ich will zu meiner Roxana, sagt Eskandar, weiß aber, er wird bleiben müssen.
Einige Tage später kommt Hodjat mit einer großen, blutenden Schnittwunde am Oberschenkel aus der Schlacht zurück, doch er strahlt. Es ist vollbracht, sagt er. Wir haben die russischen und königlichen Truppen besiegt, wir selbst haben, Allah sei es gedankt, nicht so viele Verluste zu verzeichnen, und die Stadt ist in unserer Gewalt. Es lebe der Kampf für die Verfassung und das Parlament, ruft Hodjat unter Schmerzen, dann verliert er das Bewusstsein.
Zusammen mit dem Mullah, den zwei besten Morsched und kräftigsten Pahlewan und einer Handvoll Reiter zu ihrem Schutz, darf am nächsten Morgen endlich auch Eskandar in die Stadt. Und er bekommt zu sehen, wovon Hodjat, der Stammesfürst, der Mullah und jeder andere, der dort war, auf seine Art geschwärmt hat. Der Platz der Welt, wie er genannt wird, ist prächtig. Die blauen Moscheen, die wunderbaren Fassaden und riesigen Kuppeln, der überdachte Basar und die Paläste mit ihren großzügigen Eywan, den Terassen, auf denen die Könige und Königen gesessen haben, findet Eskandar so schön, dass er nicht glaubt, dass Menschen alles das gebaut haben.
Ja, wer soll es denn dann gebaut haben?, fragt Hodjat verwundert.
Allah höchstpersönlich hat es gebaut, haucht Eskandar in Ehrfurcht, und dann sagt er etwas, mit dem er besonders den Mullah erfreut: Ich spüre seine Anwesenheit.
Während immer mehr Leute sich um sie versammeln, schlagen die Morsched ihre Trommeln, und die Pahlewan machen ihre Übungen und demonstrieren ihre Kraft, schwingen die schweren Schilde und Bogen und tanzen im Rhythmus zum Gesang der Morsched.
Dann ist Eskandar an der Reihe. Wie der Mullah und Hodjat es ihm beigebracht haben, ruft er aus: Wir werden unsere Verfassung wieder in Kraft setzen und ein Parlament haben, und fortan werden wir frei sein und keinerlei Not leiden.
Die Männer aus der Stadt umarmen die Kämpfer dankbar, klopfen ihnen auf die Schultern, küssen ihre Hände, schenken ihnen Blumen, Essen und sogar kostbare Steine und Stoffe.
Die Stammesführer lassen aus den umliegenden Teehäusern, Bäckereien und Gaststuben Tee, Süßspeisen, Reis, Fleisch am Spieß und andere Köstlichkeiten bringen und teilen es großzügig mit ihren eigenen Männern und den Jungen und Männern der Stadt. Sie lassen die Stadtschreiber kommen und registrieren jeden, der sich freiwillig ihrer Truppe anschließt und bereit ist, mit ihnen weiter in die Hauptstadt Teheran zu ziehen.
Der König und seine Lakaien haben verkündet, sie werden Dieben die Hand abhacken, singt Eskandar aus voller Kehle. Dieb ist aber nicht, wer Hunger hat und nicht zusehen will, wie seine Kinder sterben. Ihr edlen Bürger der Stadt Esfahan, Dieb ist, wer einen vollen Bauch hat, in einem Palast wohnt und trotzdem stiehlt. Ihm sollte man die Hand abhacken.
Möge Gott dein Leben beschützen, rufen die Esfahani in ihrem typischen Singsang und lassen Eskandar hochleben.
Diese Begeisterung müssen wir für uns nutzen, sagt der Khan zufrieden und befiehlt gegen den Willen des Mullah, Eskandar soll am nächsten Tag statt auf dem Esel auf einem prächtigen Pferd auf den Platz der Welt einreiten.
Der schwarze Hengst ist mit Glöckchen, Perlen und Tüchern geschmückt. Es ist ein kraftvolles Tier, und zwei Männer müssen es halten, um es daran zu hindern, mit Eskandar auf dem Rücken über den großen Platz davonzugaloppieren.
Eskandar hat Angst, andererseits fühlt er sich großartig. Die Leute eilen zu ihm, berühren das Pferd, Eskandars Beine, seine Hand, wollen ihn küssen. Der Junge erinnert an den heiligen Emam-Hossein, sagen sie ehrfurchtsvoll. Am vierten Tag kommen sogar Frauen zum Märchenerzähler, denn es heißt, wer ihn gesehen, seine Stimme gehört oder ihn gar berührt hat, der wird mit dem Segen Allahs beschenkt werden.
Ein paar Tage schwelgt Eskandar in der Begeisterung und Verzückung der Menge, aber so schnell, wie sich das Gerücht von seiner mysteriösen Kraft verbreitet hat, verblasst es auch wieder. Am liebsten würde er sich jedem, der achtlos an ihm vorbeigeht, in den Weg stellen und rufen: Ich bin es, der Junge
Weitere Kostenlose Bücher