Eskandar: Roman (German Edition)
kleinen Stich, wenn sie ihn herumkommandiert und sich von ihm bedienen lässt. Doch wenn sie krank ist, keine Lust hat, zu essen oder zu trinken, oder wenn sie nicht gehorchen will, merkt Eskandar, dass es noch immer Liebe ist, die sie für ihn empfindet; denn er ist der Einzige, dem sie folgt. Ohne Widerrede tut sie, was er von ihr verlangt. Er nimmt sie auf den Arm, küsst sie und drückt sie fest an sich. Sie schlingt ihre dünnen Arme um seinen Hals, sieht ihn mit ihren stahlblauen Augen an, schmiegt ihren schwarzen Lockenkopf an ihn und gibt jeden Widerstand auf.
Es ist kein Wunder, dass sie sich manchmal wie ein verwöhntes Kind aufführt, entschuldigt Eskandar ihr Verhalten. Schließlich lebt sie im Haus der schönen Mahrokh-Khanum wie eine Prinzessin. Sie hat eigene Räume, eine eigene Kanees, eine Dienstfrau, ein Kindermädchen, einen Gholam, einen Knecht, der stets für frisches Wasser sorgt, im Winter Holz für den Kamin bringt und sie herumträgt, wenn sie müde ist oder ihre Füße nicht auf den Boden setzen möchte. Roxana besitzt die schönsten Kleider, bestickt mit Perlen, Steinen und echtem Gold. Mahrokh-Khanum badet sie, ölt ihren Körper ein, kämmt ihr Haar, spielt mit ihr, zeigt sie jedem, der sie sehen will, und auch denen, die es nicht wollen.
Jeder hat eine Meinung über Mahrokh-Khanum und etwas zu sagen. Sie hat keinen guten Einfluss auf das Mädchen, sagen manche Diener. Diese Frau ist anders als die anderen, sie macht, was sie will. Weil sie mit ihren fünfzehn oder sechzehn Jahren nicht nur die jüngste, sondern auch die hübscheste aller Frauen des Tigers ist, genießt sie eine Sonderstellung. Immer tanzt sie ein wenig aus der Reihe und nimmt sich Dinge heraus, an die die anderen Frauen des Palang nicht einmal zu denken wagen.
Agha-Mobasher sagt, der große Palang-Khan wäre bereit, allen seinen Frauen alle Freiheit der Welt zu geben, würde sie sogar ohne Hedjab und Schleier auf die Straßen lassen, hätte er nicht eine so hohe Stellung zu verlieren. Aber einer wie er muss darauf achten, was die Leute hinter seinem Rücken reden.
Die anderen Frauen des Palang, die älter, dicker und hässlicher sind als Mahrokh-Khanum, lassen kein gutes Haar an ihr, und auch wenn Mahrokh-Khanum dabei ist, tauschen sie Blicke aus, verdrehen die Augen, verbünden sich gegen die Schöne, schelten sie, weisen sie zurecht. Hat diese Frau kein Aberou, keinen Anstand?, zischen sie, weil Mahrokh-Khanum wieder nur mit einem Kopftuch bedeckt, aber ohne Schleier und Gesichtstuch, mit Roxana an der Hand, durch den Obstgarten streift, mit ihr Fangen spielt, laut lacht, auf der Wiese herumtollt. Schließlich ist es ja nicht so, dass die Obstgärten sich im Harram befinden, schimpfen die Frauen. Schließlich sind dort Angestellte, Gärtner und sogar Reiter unterwegs. Mit ihrer Schamlosigkeit riskiert diese Frau nicht nur, dass Gott und die Welt sie sehen können, sie spielt mit dem Ruf aller Bewohner dieses Hauses. Was soll aus uns und unseren Söhnen und Töchtern werden, wenn, Allah bewahre, die Ehre unseres Palang-Khan beschädigt wird?
Mahrokh-Khanum aber beachtet die Sticheleien nicht, jedenfalls lässt sie es sich nicht anmerken, falls sie sie verletzen sollten, und tut weiterhin, was sie will.
Eskandar hält sich heraus, und selbst wenn er auf die junge Herrin angesprochen wird, zuckt er mit der Schulter und sagt, ich mache meinen Dienst und habe ansonsten nichts mit niemandem zu schaffen.
Allerdings ändert sich das, als eines Nachts, es ist längst noch nicht Zeit, mit der Arbeit zu beginnen, eine Dienerin ins Dienerhaus schleicht und Eskandar weckt. Die gnädige Frau möchte ausreiten, flüstert sie, und du sollst sie begleiten.
Ausreiten?, Eskandar versteht nicht. Eine Frau? Ausreiten?
Mach schon, drängelt die Dienerin. Sie will raus, bevor es hell ist und jemand aufmerksam wird.
Eskandar zündet die Laterne nicht an, um die beiden Pferde zu satteln. Das laute Klapp-Klapp ihrer Hufe auf den Pflastersteinen, im Stall ihr Schnauben und das Gerassel des Zaumzeugs machen ohnehin so viel Lärm, dass es ein Wunder ist, dass keiner aufwacht und die gefährliche Heimlichtuerei entdeckt. Als er mit den gesattelten Pferden aus dem Stall tritt, wartet Mahrokh-Khanum, eingehüllt in ihren schwarzen Schleier, bereits auf ihn.
Saheb, verehrte Mahrokh-Khanum, mit Verlaub, bitte verzeihen Sie, dass ich mir eine Äußerung erlaube, aber, weiter kommt Eskandar nicht, denn Mahrokh-Khanum nimmt ihren Schleier ab,
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