Eskandar: Roman (German Edition)
doch dann schluchzt sie leise. Und Eskandar kann gar nicht anders, als sie in den Arm zu nehmen und festzuhalten, bis ihr Körper leicht wird und sie sich ganz seiner Umarmung überlässt. Je ruhiger sie wird, desto mehr schmiegt sie sich an Eskandar, bis sie ihn ebenfalls umarmt und eine Hand auf seine Brust legt. Sie ist zierlicher und kleiner, als er gedacht hat, schmaler, zerbrechlicher, leicht, wie ein kleiner Vogel.
Gleichzeitig merkt Eskandar, dass er kein kleiner Junge mehr und in seinen Armen Kraft genug ist, einer Frau Schutz zu geben, genug, dass es ihr gefällt, genug, um zu wissen, er ist ein Mann.
Als könnte sie seine Gedanken lesen, flüstert sie, du bist ein kräftiger, gut aussehender junger Mann, weißt du das? In deinen Armen kann eine Frau wie ich sich behütet fühlen. Sie hebt den Kopf, und ohne dass Eskandar weiß, wie und warum es geschieht, berühren seine Lippen ihre. Es ist eine winzige, zarte, kaum spürbare Berührung, aber ihre Körper beben.
Während Eskandar keinen Ton herausbringt, fängt Mahrokh-Khanum sich rasch wieder. Du und Agha-Mobasher seid die einzigen Männer, die keine Mahram sind und denen es trotzdem erlaubt ist, den Harram zu betreten. Palang-Khan würde dich und mich auf der Stelle töten, wüsste er – weiter spricht sie nicht.
Saheb, es tut mir leid.
Mahrokh-Khanum legt ihm einen Finger auf die Lippen. Still. Mir tut es nicht leid. Und dann, als wäre sie nicht eine Frau und dazu auch noch die Ehefrau seines Herrn, des mächtigen Tigers, als wäre er kein Diener und nichts geschehen, als hätten sie kein Gesetz gebrochen, steigt sie auf ihr Pferd, schnalzt mit der Zunge und setzt sich in Bewegung. Niemand wird erfahren, was heute geschehen ist, flüstert sie. Niemand. Hörst du?
Ja, Saheb, was immer Sie befehlen. Eskandar nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt, Saheb, mit Verlaub, Sie sagen Dinge zu mir, die noch nie jemand gesagt hat.
Mahrokh-Khanum sieht ihn keck an. Wer weiß, sagt sie und lächelt. Vielleicht werde ich schon bald auch Dinge tun, die noch nie jemand mit dir getan hat.
Als sie wieder zurück auf dem Anwesen sind, beugt Mahrokh-Khanum sich vor, zieht Eskandar zu sich heran und küsst ihn auf die Stirn.
Sie ist längst in der Morgendämmerung des Gartens verschwunden, als Eskandar noch dasteht, die Augen geschlossen hat und sich nichts sehnlicher wünscht, als diesen wunderbaren Moment nicht zu verlieren, und das Gefühl des Kusses auf seiner Stirn festzuhalten, bis er es in seinem Herzen versenkt hat.
1916, der große Krieg und das erste Automobil
Laut krachend und eine Menge stinkenden Qualm ausstoßend, donnert Palang-Khan in einer eigenartigen Droschke durch seinen Park. Das Gefährt wird weder von Pferden gezogen noch von einem Droschkenführer gelenkt.
Die gesamte Herrschaft, Bedienstete und Reiter, unzählige Gäste des Hauses, alle sind gekommen, um das neue Spielzeug des Herrn zu bewundern. Wie seinerzeit Mesterr-Richard ist es mit dem Schiff aus Farang gekommen, und Hodjat hat es zusammen mit einer Handvoll Reiter vom Hafen am Persischen Golf abgeholt und von Pferden über Wochen nach Teheran ziehen lassen.
Agha-Mobasher hat die Dienerschaft beauftragt, Teppiche auszubreiten, Obst und Datteln zu servieren, Samoware aufzustellen und Tee aufzubrühen, damit das Publikum sich erfrischen kann, während der Herr des Hauses mit seiner pferdelosen Droschke durch den Park rattert und seine neueste Errungenschaft aus Farang und sich selber von allen bewundern lässt.
Palang-Khan trägt zwei kleine Gläser, die wie winzige Fenster aussehen vor den Augen, er lacht wie ein Junge und winkt jedem zu. Manche jubeln über das schnaubende Monster, andere fürchten sich vor ihm, werfen sich gar zu Boden, beten oder laufen davon. Manche seiner Söhne rennen hinter der pferdelosen Droschke her. Die Mutigeren springen auf, fahren ein Stück mit.
Sogar die Frauen des Palang-Khan sind gekommen, sie sind verschleiert und tragen ihre Gesichtstücher. Eine ruft und gestikuliert, jemand soll dem armen Tiger zu Hilfe eilen, andere halten ihre Söhne und Töchter fest, aus Angst, das Ungeheuer könnte ihnen Schaden zufügen.
Mahrokh-Khanum ist die Einzige, die kein Gesichtstuch trägt, und sie steht mit Roxana im Arm in vorderster Reihe. Laut und für jeden hörbar ruft sie, dass sie fortan auch in einer derartigen Droschke gefahren werden will, dann sieht sie zu Eskandar-Agha herüber, dem sofort die Hitze in den Kopf steigt, und er hofft, dass
Weitere Kostenlose Bücher