Eskandar: Roman (German Edition)
und er kann seinen Augen nicht trauen.
Die junge Frau steht vor ihm und sieht aus wie er selber. Sie trägt eine Hose, eine Jacke und Reitstiefel, und dann setzt sie sich auch noch einen hohen Männerhut auf und ist beinah nicht wiederzuerkennen. Sie gibt ihren Schleier der Dienerin und befiehlt, halte dich bereit, ich werde vor Anbruch des Tages zurück sein.
Wie sehe ich aus?, fragt Mahrokh-Khanum, als sie zusammen mit Eskandar auf der Schotterstraße langsam in Richtung Meidane Toopkhaneh, dem Platz der Kanone, in Richtung der Militärkaserne reitet.
Eskandar muss sich zusammennehmen, um nicht zu lachen. Saheb, mit Verlaub, Sie sehen aus wie ein Junge.
Gut. Sehr gut. Nichts erinnert an eine Frau?
Nein, Saheb. Ein richtiger Junge.
Mit jeder Kreuzung, die sie sich weiter vom Anwesen des Palang-Khan entfernen, wird Mahrokh-Khanum entspannter. Sollten wir jemandem begegnen, werde ich schweigen, und du sprichst.
Ihr Wunsch sei mir Befehl, Saheb.
Ist dir eigentlich klar, welch freies Leben du führst?, fragt Mahrokh-Khanum.
Saheb? Wie bitte?
Tagein, tagaus, und das mein ganzes Leben lang, bin ich hinter die Mauern und Tore meines Hauses verbannt. Die Stadt und den Basar, die Gärten, die Wüste, die Berge, die vielen Menschen bekomme ich niemals zu Gesicht. Ich rede mit niemandem, begegne keinem Fremden, ich sehe mir niemals die Waren in den Auslagen an oder verhandle über Preise, und ich kaufe nichts. Ich gehe nicht von einem Ort zum anderen, schiebe mich nicht durch Menschenmassen, halte auf der Straße keine Droschke an und grüße auch keine Vorübergehenden. Nichts. Nichts von alledem erlebe ich. Nur weil ich eine Frau bin, sagt Mahrokh-Khanum wütend und wendet sich ab, um ihre Tränen zu verbergen.
Eine Weile reiten sie schweigend nebeneinander, dann sagt Mahrokh-Khanum leise, Eskandar-Agha, erzählen Sie mir, wie es hier in diesen Straßen tagsüber aussieht.
Mit der Art, wie sie ihn fragt, gibt sie Eskandar das Gefühl, ein Vertrauter seiner Herrin zu sein. Saheb, sagt er ungehemmt. Es ist voll und laut. Droschken, Pferde, Esel und Kamelkarawanen mit Waren für den Basar drängen sich in den Straßen und Gassen. Man findet alles, was man braucht. Und sogar Dinge, die man nicht braucht, sagt Eskandar-Agha und muss lachen.
Warum lachen Sie?
Saheb, als ich vor Jahren das erste Mal in ein größeres Dorf gekommen bin, hat der Übersetzer, der mich begleitet hat, das Gleiche zu mir gesagt. Du bekommst Dinge, die du nicht brauchst. Tagsüber sind so viele Menschen unterwegs, dass man sie nicht zählen kann, und die Läden der Geschäfte auf beiden Seiten der Straße sind geöffnet, und die Händler bieten ihre bunten Waren feil. Esel und Pferde ziehen Karren mit Obst, Gemüse, Holz, Stoffen, Wolle, Leder, Heu und anderen Dingen. Die Leute tragen immerzu irgendetwas von einer Seite der Stadt in die andere. Allah allein weiß, warum sie das tun.
Du erzählst schön, sagt Mahrokh-Khanum, und Eskandar merkt, dass ihre Stimme anders ist, und sie landet direkt in seinem Bauch, wo sie warm und weich liegen bleibt, als wäre sie eine Hand, die ihn liebkost.
Eskandar starrt geradeaus in die Dunkelheit der Straße, trotzdem spürt er den Blick seiner schönen Herrin, der ihn wie Finger zuerst am Kopf und im Gesicht, bis hinunter zu den Füßen abtastet. Eskandar krallt sich am Zaumzeug und der Mähne des Pferdes fest, weiß nicht, was er sagen soll, weiß nur, dass er nicht aufhören darf, nach vorn zu sehen.
Eskandar, haucht Mahrokh-Khanum, wie alt bist du?
Ich bin in dieser Welt, seit die Farangi in unser Land gekommen sind und begonnen haben, nach Naft zu suchen. Der Mullah sagt, ich dürfte fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein.
Dann bist du etwa im gleichen Alter wie ich, sagt die Samtstimme. Mahrokh-Khanum sieht Eskandar noch immer von der Seite an und fragt, triffst du im Basar auch Frauen?
Nicht solche wie Sie, Saheb, antwortet Eskandar und hofft, dass Mahrokh-Khanum nicht hören kann, wie sein Herz klopft.
Nicht solche wie mich?, fragt sie lachend und für Eskandar klingt es wie das Plätschern und Gurgeln des kühlen Wassers im Bach, zu beiden Seiten der Straße. Ich wünschte, ich wäre mutig genug, bei Tag in dieser Aufmachung durch die Stadt zu reiten, sagt sie und lacht nicht mehr.
Eskandar bekommt nicht mehr mit, worüber seine schöne Herrin spricht, weil ihm erst jetzt auffällt, dass sie nicht im Damensitz, sondern mit gespreizten Beinen im Sattel sitzt, ihre Schenkel an den Gaul
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