Eskandar: Roman (German Edition)
presst, ihre Hüfte auf dem Sattel vor- und zurückschiebt und er ihren Schoß sehen kann. Eskandar wendet sich ab und spürt, wie ihm der Schweiß den Rücken hinabläuft.
Du bist ja ganz außer Atem, haucht Mahrokh-Khanum. Strengt der Ritt dich an?
Anstrengend? Was? Nein! Saheb?
Würdest du mich begleiten?, fragt seine schöne Herrin und reitet so dicht neben ihm, dass ihr Knie das von Eskandar berührt.
Saheb, mit Verlaub, nur Frauen aus dem niederen Volk gehen auf die Straße und in die Öffentlichkeit. Nur wer keine Diener, Brüder, Väter oder Söhne hat und sich selbst um seine Belange kümmern muss. Und selbst diese Frauen sind von Kopf bis Fuß verschleiert und tragen das weiße Gesichtstuch. Keine Saifeh geht allein auf die Straße oder in den Basar.
Saifeh, die Schwache, was für ein hässliches Wort. Ich finde, nicht die Frauen, sondern die Männer dieses Landes sind schwach. So schwach, dass sie sich nicht beherrschen können und beim Anblick einer Frau zum Tier werden. Sieh mich an, sagt sie und wartet, bis Eskandar sich ihr zuwendet und sie anblickt.
Siehst du? Ich sitze auf dem Pferd und sehe aus wie ein Mann. Ich besitze Land, ich kann lesen und schreiben, ich habe eine Meinung, ich ziehe ein Kind groß, kümmere mich um mein Haus, führe meine Dienerschaft, gebe Befehle. Mit welchem Recht also darf irgendein Mann mich als Saifeh bezeichnen?
Frauen brauchen Schutz, sagt Eskandar.
Mahrokh-Khanum hält ihr Pferd an, sie spricht ruhig. Damit hast du recht, sagt sie. Doch beantworte mir eine Frage, vor wem müssen Frauen beschützt werden?
Vor Männern, antwortet Eskandar, zuckt die Schultern und starrt auf den Boden und ohne dass es seine Absicht gewesen wäre, sagt er, Saheb, mit Verlaub, Sie sind eine wunderschöne Frau.
So? Bin ich das?, fragt Mahrokh-Khanum und scheint nicht im Geringsten überrascht oder empört zu sein. Sie wirft ihren Kopf in den Nacken und lacht, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, womit sie Eskandar-Agha nun vollends verwirrt. Verrate es mir, was veranlasst dich zu sagen, dass ich eine schöne Frau bin?
Mehr als ein Achselzucken bringt Eskandar nicht zustande.
Du widersprichst mir nicht, das ist gut, sagt seine schöne Herrin. Gedanken und Überzeugungen sind wie Kleider; man muss sie reparieren, verändern und manchmal eben auch wegwerfen.
Saheb, mit Verlaub, wer arm ist wie ich, hat nicht viele Kleider zur Auswahl.
Die Stimme von Mahrokh-Khanum wird wieder wie Samt, als sie sagt, mit deiner poetischen Art schaffst du es wieder, mich zu beeindrucken.
Poetisch? Wie ein Dichter? Das hatte noch niemand und schon gar keine Frau zu Eskandar gesagt. Ein heißer Schauer läuft durch seinen Körper, und aus dem Augenwinkel sieht er, wie seine Herrin ihn noch immer mustert. Doch dann erschreckt Eskandar sich, denn in der nächsten Seitengasse entdeckt er den Schein einer Laterne.
Saheb, still, flüstert er. Das ist der Nachtgeher.
Mahrokh-Khanum zieht so ruckartig an den Zügeln, dass ihr Pferd nervös schnaubt, den Kopf hebt und senkt, mit dem Zaumzeug klimpert und mit den Hufen einen Höllenlärm veranstaltet. Der Nachtgeher ist längst auf die Geräusche aufmerksam geworden. Er hat seine Laterne abgedunkelt und ist stehen geblieben. Besonders in dieser Gegend, wo die großen Häuser und Anwesen der Wohlhabenden sind, tragen die Nachtgeher Waffen. Sie brauchen nur zu rufen, und weitere Wächter, die königliche Garde und im schlimmsten Fall sogar russische und britische Soldaten tauchen auf.
Ohne lange zu überlegen, fängt Eskandar leise an zu singen. Bürger der Stadt schlaft ruhig, er hält inne, lauscht in die Stille. Die Geher der Nacht sind wach, singt er weiter, und weiß nicht, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, dass das Licht der Laterne, das von der Gasse auf die Hauptstraße fällt, sich wieder bewegt.
Sing weiter, flüstert Mahrokh-Khanum.
Allah ist unser Beschützer, singt Eskandar. Schlaft. Schlaft. Bürger der Stadt, alles ist in Frieden. Während er singt, wendet er ohne Hast die Pferde. Mahrokh-Khanum und er reiten langsam zurück in die Richtung, aus der sie gekommen sind, und biegen in die nächste Gasse. Trotz der Dunkelheit erkennt Eskandar, dass Mahrokh-Khanum blass ist und zittert. Er steigt ab, hilft seiner Herrin, ohne ein Wort zu sagen, vom Pferd und kann sein Glück nicht fassen, weil sie weiche Knie hat und sich dankbar in seine Arme fallen lässt.
Sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter, ihr Atem beruhigt sich,
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