Esper unter uns
zu.«
»Du willst sie nicht sehen?«
» Sie? Eine abgelegte Hülle! Das Ding dort oben ist nicht mehr Becky.«
Peter schüttelte den Kopf. »Großer Gott, Victor! Mußt du dir selbst alles noch schwerer machen? Aber tu, was du willst.« Er folgte Katie.
Es regnete jetzt in Strömen, und in Sekunden war Victor durchnäßt, aber er konnte sich nicht dazu bringen, ins Haus zu gehen. Becky war nicht mehr, und mit ihrem Tod war ein weiteres Band zu seinem alten Leben durchtrennt. Obgleich sie bei ihrer letzten Begegnung gegen ihn gewesen war, hatte das nichts an seiner Liebe und Hochachtung für sie geändert. An der Reinheit ihrer Ideale oder der Integrität ihrer Prinzipien konnte es keinen Zweifel geben. Als Führerin hatte sie die Psigruppe gut geleitet, und es war schwer, sich vorzustellen, wer von den Übriggebliebenen ihren Platz einnehmen könnte. Katies Verstand war scharf wie ein Rasiermesser, und sie hatte den Wissensdurst einer Dohle, der es ihr ermöglicht hatte, sich in beachtlichem Maß autodidaktisch zu bilden. Aber sie war viel zu emotional und hatte zu sehr den Hang, sich auf Sids Urteil zu verlassen, der ihr trotz seiner unbezweifelbaren Begabung in der Psielektronik geistig unterlegen war. Und Barbara Moray? Sie war warmherzig, mitfühlend und verständnisvoll, aber keine Führernatur, dazu fehlte ihr das nötige Maß an Skrupellosigkeit. Also blieb nur ein Mitglied des Inneren Rates – Peter Moray. Er hatte die erforderliche Charakterstärke, aber Victor schien, daß es ihm an Flexibilität und Verständnis mangelte. Allerdings mußte er fair sein und zugeben, daß er durch ihr etwas angespanntes Verhältnis in den vergangenen Jahren vielleicht ein wenig zu voreingenommen war. Außerdem, was sollten diese nutzlosen Überlegungen? Er gehörte nicht mehr dazu, war durch seine Psiimpotenz ausgeschlossen.
Vor allem jetzt. War es Selbstmitleid, wenn ihm bewußt wurde, daß ihm eines nach dem anderen, das sein Leben lebenswert gemacht hatte, genommen wurde? Erst Flower, dann seine Psikraft, und jetzt Becky. Was war das nächste?
Jetzt erst merkte er, daß er gar nicht mehr auf dem Kiesweg der Einfahrt stand, sondern sein Körper wie von selbst dahingewandert war und er sich jetzt auf dem Pfad befand, der hinter dem Haus den Berg hochführte. Mechanisch setzte er weiter Fuß vor Fuß, bis er schließlich den Gipfel erreichte, wo eine monolithische Schieferspitze noch ungefähr fünf Meter in die Luft ragte.
Bis auf die Haut durchnäßt und vor Kälte bebend, schaute er hinunter in das morgen- und regengraue Tal. Er war allein mit der Bitterkeit seines Verlusts.
Die erste Psiberührung war wie der Funke eines neugeschürten Feuers, das am Ausgehen war. Doch dann wurde der Funke stärker und zur gleichmäßig brennenden, lebensspendenden Flamme, deren wundersame Wärme wohltuend in ihn drang und Furcht und Zweifel vertrieb.
Es gibt keinen Tod, Victor – nur einen Übergang zu einer anderen Art des Seins, zu einer anderen Existenzebene. Wir Psimenschen brauchen nicht blind als Teil einer Religion daran zu glauben, wir WISSEN, daß es so ist. Und es macht auch keinen Unterschied, ob man durch Gewaltanwendung aus seinem Körper gezwungen wird, wie in Flowers Fall, oder ihn mit voller Absicht von sich wirft, wie ich es getan habe. Die Essenz des Geistes überlebt die belastende fleischliche Hülle und ist ohne sie frei, auf der vierten Ebene und darüber durch unendliche Universen zu wandeln.
Becky! Ist meine Psifähigkeit zurückgekehrt?
Sie wurde dir nie genommen – sie war lediglich durch die physischen und seelischen Traumata bei Flowers Tod isoliert. Die physischen Verletzungen verheilten von selbst, vor einer ganzen Weile schon, aber die Bitterkeit deines Selbstmitleids hielt dich in einem Gefängnis von Psiimpotenz fest, aus dem du nur durch eine aus dir selbst kommende Brandung emotionaler Kraft ausbrechen konntest.
Und dein Tod löste sie aus?
Jegliche starke Emotion hätte es vermocht, solange ein sympathetischer Psigeist da war, um dafür zu sorgen, daß eine Rückkehr zur Normalfunktion von Dauer sein würde.
Dann bist du also gestorben, um mich zu retten?
Nein, Victor! Ich starb, um mich selbst zu retten – um dieser ausgebrannten Hülle zu entkommen, um wieder ich selbst zu werden. Das Bild, das sie in seinen Geist projizierte, war das von Becky, wie er sie vor fünfundzwanzig Jahren zum erstenmal gesehen hatte, hochgewachsen und aufrecht, eine Königin von Judäa, mit starken,
Weitere Kostenlose Bücher