Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
Vom Netzwerk:
in ihr Heimatdorf.
    Tita sah sich nun gezwungen, eine fremde Köchin einzustellen. Doch kaum hatte man eine gefunden, verließ sie das Haus nur drei Tage nach ihrer Ankunft wieder. Sie hatte Mama Elenas Ansprüche und ihre schlechten Manieren nicht ertragen können. Daraufhin suchten sie eine neue, die es sogar nur zwei Tage aushielt, und noch eine und danach eine weitere, bis im gesamten Dorf keine mehr aufzutreiben war, die im Haus hätte arbeiten wollen. Am längsten hielt sich noch ein taubstummes Mädchen, doch nach vierzehn Tagen nahm auch diese Haushilfe ihren Abschied, als Mama Elena ihr in Zeichensprache unmißverständlich zu verstehen gab, sie sei eine einfältige Gans.
    Schließlich blieb Mama Elena nichts weiter übrig, als zu essen, was Tita ihr kochte, freilich tat sie es mit den gebührenden Vorbehalten. Außer daß sie darauf bestand, Tita müsse jedes Mal die Mahlzeit vorkosten, verlangte sie ein Glas warmer Milch, das sie vor dem Essen trank, um die Wirkung des bitteren Gifts zu neutralisieren, denn sie beharrte stur auf ihrem Verdacht, die Gerichte seien vergiftet. Nur bisweilen reichten diese Vorkehrungen aus, nicht selten aber klagte sie trotz allem über heftige Leibschmerzen, dann trank sie vorsichtshalber noch einen Schluck Ipecacuanha-Wein und dazu etwas Meerzwiebelwein als Brechmittel. Alles in allem dauerte es nicht lange: Nach einem Monat starb Mama Elena unter qualvollen Schmerzen, die mit fürchterlichen Konvulsionen einhergingen. Zu Anfang konnten sich Tita und John diesen eigenartigen Tod überhaupt nicht erklären, denn außer der Lähmung litt Mama Elena klinisch gesehen an keiner weiteren Krankheit. Doch als sie ihren Nachttisch durchsahen, fanden sie ein ganzes Fläschchen mit Ipecacuanha-Wein und kamen zu dem Schluß, Mama Elena habe höchstwahrscheinlich heimlich davon getrunken. John machte Tita klar, dieses Brechmittel wirke derart durchschlagend, daß es den Tod herbeiführen könne.
    Tita vermochte während der gesamten Totenwache kaum einen Moment lang den Blick von Mama Elenas Antlitz abzuwenden. Erst jetzt, nach ihrem Ableben, gelang es Tita zum ersten Mal, ihre Mutter offen anzusehen, und sie begann allmählich, diese zu verstehen. Wer Tita gesehen hätte, würde diesen forschenden Blick leicht mit einem schmerzerfüllten verwechselt haben; gleichwohl empfand sie keine Spur von Trauer. Endlich verstand sie den Ausdruck »In einer rauhen Schale steckt oft ein weicher Kern«: Aber man sah eben nur die stachlige, abweisende Schale. Genauso distanziert und unbeteiligt mußte sich etwa eine Kakteenfrucht bei einer plötzlichen Trennung von der anderen fühlen, mit der zusammen sie gereift ist. Es wäre von ihr zuviel verlangt, Schmerz über die Trennung zu empfinden, wenn sie sich doch nie unterhalten oder eine irgendwie geartete Verständigung hatten erreichen können und eben nur die äußere Schale des anderen kannten, ohne zu ahnen, daß es im Innern noch einen Kern gab.
    Tita konnte sich einfach nicht vorstellen, wie dieser vor Bitterkeit verkniffene Mund leidenschaftlich geküßt hatte, diese inzwischen gelblich angelaufenen Wangen sich, von einer Liebesnacht erhitzt, gerötet hatten. Und dennoch mußte es einst so gewesen sein. Tita hatte das freilich erst jetzt entdeckt, zu spät und rein zufällig. Während sie ihre Mutter für die Totenwache ankleidete, hatte sie ihr den riesigen Schlüsselbund abgenommen, den diese an einer Kette um die Taille getragen hatte, solange Tita denken konnte. Im Haus befand sich alles unter Verschluß und wurde streng kontrolliert. Niemand hatte ohne Mama Elenas Erlaubnis auch nur eine Zuckerdose aus der Speisekammer holen können. Tita kannte die Schlüssel für jede Tür und für jedes Versteck. Doch außer dem riesigen Schlüsselbund trug Mama Elena um den Hals noch ein herzförmiges Medaillon, das einen winzigen Schlüssel barg und nun Titas Aufmerksamkeit erregte.
    Ohne Zögern brachte sie den Schlüssel mit dem entsprechenden Schloß in Verbindung. Als Kind hatte sie sich nämlich beim Versteckspiel einmal in Mama Elenas Schrank verborgen. Unter all den Bettüchern hatte sie ein kleines Kästchen entdeckt. Während Tita darauf wartete, daß man sie fände, hatte sie sich bemüht, es aufzumachen, vergeblich, denn es war abgeschlossen. Mama Elena war dann schließlich diejenige gewesen, die sie, obwohl sie nicht mitspielte, beim Öffnen des Kleiderschranks entdeckt hatte. Sie war gekommen, um ein Bettuch oder dergleichen

Weitere Kostenlose Bücher