Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
und geistreiche Weise Konversation zu betreiben, bekäme Esperanza so die Gelegenheit, Seite an Seite mit der Crème de la Crème von Piedras Negras die Schulbank zu drücken. So ergab es sich, daß Esperanza zur Förderung ihrer geistigen Fähigkeiten die beste Schule besuchen durfte. Ihrerseits machte sich Tita dafür stark, Esperanza etwas mindestens ebenso Unverzichtbares beizubringen: die Geheimnisse des Lebens und der Liebe mit Hilfe der Kochkunst.
Dieser Sieg über Rosaura hatte bisher genügt, um weitere heftige Diskussionen abzuwenden, doch nun tauchte plötzlich Alex auf und mit ihm die Möglichkeit einer Verlobung. Rosaura geriet völlig außer sich, als ihr klar wurde, daß Pedro und Tita Esperanza vorbehaltlos bestärkten. Wie eine Löwin kämpfte sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln um die Beibehaltung der ihr von der Tradition zuerkannten Rechte: daß nämlich ihre Tochter bis zu ihrem Tode für sie sorgte. Mit der Macht der Verzweiflung schrie sie und trampelte, kreischte, spuckte und drohte. Zum ersten Mal verstieß sie gegen die Abmachung, warf Pedro und Tita Verwünschungen an den Kopf und beklagte sich bitterlich, wieviel Leid sie ihretwegen schon habe ertragen müssen.
Das Haus verwandelte sich in ein regelrechtes Schlachtfeld. Türenknallen war inzwischen an der Tagesordnung. Glücklicherweise währten die Auseinandersetzungen nicht allzu lange, denn nach drei Tagen heftiger und aufreibender Kämpfe zwischen beiden Parteien war Rosaura infolge schwerer Verdauungsprobleme auf äußerst ... eben besagte Weise zu Tode gekommen.
Die Hochzeit zwischen Alex und Esperanza erreicht zu haben, bedeutete Titas größten Triumph. Wie stolz fühlte sie sich, Esperanza so intelligent, so allem gewachsen zu sehen, doch gleichzeitig so feminin und einfach glücklich. Bezaubernd war ihr Anblick, als sie in ihrem Brautkleid mit Alex zum Walzer »Augen der Jugend« tanzte.
Sobald die Musik endete, traten die Lobos, Paquita und Jorge hinzu, um Pedro und Tita zu beglückwünschen.
»Unseren Glückwunsch, Pedro, eine bessere Partie als Alex hätte deine Tochter nicht finden können.«
»Ja, Alex Brown ist wirklich ein wunderbarer Bursche. Der einzige Nachteil ist, daß sie uns verlassen werden. Alex hat ein Stipendium erhalten, um an der Universität von Harvard seinen Doktor zu machen, und noch heute, gleich nach der Hochzeitsfeier, werden sie sich auf den Weg dorthin machen.«
»Wie entsetzlich, Tita! Was wirst du denn jetzt machen?« ließ Paquita mit äußerst spitzer Zunge verlauten. »Ohne Esperanza im Haus wirst du doch nicht weiter in Pedros Nähe leben können. Oh je, bevor du aber woanders hinziehst, mußt du mir unbedingt noch das Rezept deiner Pfefferschoten in Walnußsauce verraten. Die sehen ja wahrhaft köstlich aus.«
Die gefüllten Pfefferschoten mit Walnußsauce sahen nicht nur köstlich aus, sie schmeckten auch tatsächlich hervorragend, ja nie zuvor waren sie Tita so vorzüglich gelungen. Die Pfefferschoten leuchteten stolz in den Farben der mexikanischen Flagge: dem Grün der Chilis, dem Weiß der Nußrahmsauce, dem Rot des Granatapfelsamens.
Diese dreifarbigen Servierplatten blieben freilich nur kurze Zeit intakt: In Null Komma nichts verschwand das Essen von den Tabletts ... Wieviel Zeit war doch verstrichen seit dem Tag, an dem Tita sich gefühlt hatte wie eine Pfefferschote in Walnußsauce, die man wohlerzogen übrigläßt, um keine Gier zu zeigen.
Tita fragte sich, ob die Tatsache, daß diesesmal keine einzige Pfefferschote zurückblieb, als Zeichen dafür zu werten sei, daß die feinen Sitten allmählich in Vergessenheit gerieten, oder ob sie tatsächlich nur so ausgezeichnet mundeten.
Die Tischgesellschaft zeigte sich wahrhaft überwältigt. Welch ein himmelweiter Unterschied zwischen dieser Hochzeit und der von Pedro und Rosaura. Anstatt, wie damals beim Kosten der Pfefferschoten mit Nußsauce, in abgrundtiefe Niedergeschlagenheit und ein unerklärliches Sehnen und Zehren zu verfallen, überkam sie nun ganz im Gegenteil ein ähnliches Gefühl wie Gertrudis, als sie die Wachteln in Rosenblättern verzehrt hatte. Und jetzt verspürte Gertrudis als erste die Symptome. Sie befand sich mitten auf dem Patio beim Tanz mit Juan zu »Mein lieber Capitán« und sang den Refrain, während sie drauflos tanzte wie nie zuvor. Jedesmal, wenn sie das » Ai, ai, ai, ai, mein lieber Capitán« hervorschmetterte, übermannte sie die Erinnerung an jene ferne Vergangenheit, als Juan
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