Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
Knoten in ihrem Hals hinderte sie, etwas zu erwidern. Tränen rannen über ihr Gesicht. Ihre ersten Freudentränen.
»Und ich möchte, daß du weißt, nichts kann mich von dieser Absicht abbringen. Es ist mir schnurzegal, was meine Tochter oder sonst irgend jemand denken mag. Viel zu viele Jahre haben wir mit der Sorge vertan, was die Leute sagen könnten, doch von heute abend an wird mich nichts und niemand mehr von deiner Seite trennen.«
Aber zu diesem Zeitpunkt kümmerte sich auch Tita keinen Deut mehr um die Meinung der anderen, würde ihre Liaison mit Pedro öffentlich bekannt.
Zwanzig Jahre lang hatte sie den Pakt, den beide mit Rosaura geschlossen hatten, respektiert, und nun war sie es müde. Aus Rücksicht auf Rosaura, die vor allem anderen den Schein einer perfekten Ehe wahren und ihre Tochter im Schutz der geheiligten Institution der Familie erzogen wissen wollte - alleiniges Vorbild für gute Moral, wie sie meinte -, hatten sich Pedro und Tita zu absoluter Diskretion bei ihren Zusammenkünften und zu völliger Geheimhaltung ihrer Liebesbeziehung verpflichtet. In den Augen der anderen würden sie weiterhin stets eine ganz normale Familie sein. Dafür mußte Tita auf ein uneheliches Kind verzichten. Zum Ausgleich war Rosaura dazu bereit, Esperanza mit ihr auf folgende Art zu teilen: Tita würde die Verantwortung für die Beköstigung des Kindes übernehmen und Rosaura deren Erziehung.
Rosaura war ihrerseits verpflichtet, auf freundschaftliche Weise mit ihnen zusammenzuleben und jegliche Form von Eifersucht oder Ansprüchen aufzugeben.
Im großen und ganzen hatte sich jeder von ihnen an die Absprache gehalten, außer in bezug auf Esperanzas Erziehung. Tita wünschte für Esperanza eine völlig andere, als es Rosauras Absicht war. Daher nutzte sie über ihre Kompetenzen hinaus jeden Augenblick, den Esperanza an ihrer Seite verbrachte, dazu, dem Mädchen eine andere Art von Kenntnissen zu vermitteln als ihre Mutter.
Diese Momente machten den größten Teil des Tages aus, denn die Küche war Esperanzas bevorzugter Aufenthaltsort und Tita ihre engste Vertraute und Freundin.
Es geschah an eben einem dieser Nachmittage, die sie gemeinsam in der Küche verbrachten, daß Esperanza Tita gestand, Alex, John Browns Sohn, wolle um ihre Hand anhalten. Tita war die erste, die davon erfuhr. Nach langen Jahren hatten sie sich bei einem Fest am College, wo Esperanza studierte, wiedergetroffen. Alex war gerade dabei, sein Medizinstudium zu beenden. Vom ersten Moment an war der Funke übergesprungen. Als Esperanza Tita erzählte, unter Alex' Blick habe sie sich wie ein Teigball bei der Berührung mit siedendem Öl gefühlt, war Tita klar, daß Alex und Esperanza um nichts in der Welt mehr getrennt werden konnten.
Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln hatte Rosaura darum gekämpft, die Verbindung zu vereiteln. Von Beginn an widersetzte sie sich offen und hartnäckig. Pedro und Tita griffen zu Esperanzas Gunsten ein, so daß sich zwischen ihnen ein Kampf wie auf Leben und Tod entspann. Gellend forderte Rosaura ihr Recht: Pedro und Tita brächen den Pakt, und das sei unfair.
Dies war nicht das erste Mal, daß man wegen Esperanza stritt. Angefangen hatte es, als Rosaura sich weigerte, ihre Tochter zur Schule zu schicken, da sie das als Zeitverschwendung erachtete. Esperanzas einzige Mission im Leben sei die, stets für ihre Mutter dazusein. Zu diesem Zweck seien derart gehobene Kenntnisse völlig überflüssig, viel sinnvoller wäre es, sie würde das Klavierspiel erlernen sowie Gesang und Tanz. Die Beherrschung dieser Fertigkeiten würde ihr im Leben überaus hilfreich sein. Zum einen, weil sie Rosaura dann die Nachmittage aufs unterhaltsamste vertreiben könnte, und zum anderen, weil sie auf Gesellschaftsfesten stets angenehm auffallen und den spektakulärsten Applaus ernten würde. Auf diese Art könnte sie nicht nur aller Aufmerksamkeit auf sich lenken, sondern würde auch in den höchsten Kreisen geachtet. Mit Mühe und Not gelang es ihnen, Rosaura in endlosen Disputen davon zu überzeugen, daß Esperanza über Gesang, Tanz und virtuoses Klavierspiel hinaus auch unbedingt geistreichen Unterhaltungen gewachsen sein müsse, wenn sie mit solchen konfrontiert würde, und daß es dafür nötig sei, die Schule zu besuchen. Zähneknirschend gab Rosaura schließlich ihre Einwilligung, das Kind aufs Gymnasium zu schicken, doch nur, weil sie zu der Überzeugung gelangt war, abgesehen von der Fähigkeit, auf angenehme
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