Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
noch Hauptmann war und sie sich mit ihm gänzlich nackt mitten auf dem Feld verlustiert hatte. Sogleich erkannte sie die an den Schenkeln aufsteigende Hitze wieder, das Kribbeln in der Leibesmitte, die unkeuschen Gedanken und beschloß, sich schleunigst mit ihrem Gatten zurückzuziehen, bevor die Dinge ihren unvermeidlichen Lauf nehmen würden. Gertrudis war die erste, die den Rückzug antrat. Alle übrigen Gäste folgten unter dem einen oder anderen Vorwand ihrem Beispiel mit kaum verhohlener Lüsternheit im Blick und baten, man möge sie entschuldigen. Die frisch Vermählten dankten es ihnen insgeheim, denn nun hinderte sie nichts mehr, ihrerseits die Koffer zu packen und so schnell wie möglich abzureisen. Sie konnten es kaum erwarten, endlich in ihr Hotel zu gelangen.
Als Tita und Pedro die Situation bemerkten, verweilten nur noch John, Chencha und sie beide auf der Farm. Alle anderen, einschließlich der Arbeiter, hatten bereits das Weite gesucht und frönten ungezügelt der Liebe. Einige trieben es gar unter der Brücke zwischen Piedras Negras und Eagle Pass. Die Altmodischeren zogen ihren in letzter Not mehr schlecht als recht auf der Landstraße abgestellten Wagen als Lustort vor. Alle übrigen blieben dort, wo sie gerade gingen oder standen. Jedweder Ort war genehm: am Fluß, auf der Treppe, im Waschtrog, im Kamin, im Backofen, auf dem Tresen in der Apotheke, im Kleiderschrank, ja gar auf den Baumwipfeln. Die Not ist die Mutter der Erfindung und jeder möglichen Stellung. Jener Tag war so reich an Erfindungsgabe wie kein weiterer in der Geschichte der Menschheit.
Tita und Pedro gaben sich ihrerseits alle nur erdenkliche Mühe, um ihren sexuellen Gelüsten nicht hemmungslos nachzugeben, doch diese gingen schließlich derart heftig mit ihnen durch, daß sie sogar die Barrieren der Haut sprengten und sich in Form von Hitze und eines befremdlichen Geruchs Luft verschafften. John, dem nichts entging, war kaum gewillt, als dritter das Nachsehen zu haben, nahm daher Abschied und verschwand. Tita tat es in der Seele weh, ihn allein fortgehen zu sehen. John hätte eine andere Frau heiraten sollen, nachdem sie damals doch noch abgelehnt hatte, ihn zum Manne zu nehmen. Leider hatte er sich aber nie mehr dazu entschließen können.
Sobald John fort war, bat auch Chencha um Erlaubnis, in ihr Dorf zu eilen: Vor einigen Tagen hatte sich ihr Mann dorthin begeben, um die ersten Ziegel für ihr Häuschen zu setzen, und nun hatte sie plötzlich ein unendliches Verlangen gepackt, ihn zu sehen.
Hätten Tita und Pedro geplant, ihre Hochzeitsnacht in großer Abgeschiedenheit zu verbringen, wäre es ihnen nicht leichter gemacht worden. Zum ersten Mal im Leben konnten sie sich ungehindert lieben. Lange Jahre hindurch war eine Reihe von Vorkehrungen nötig gewesen, damit niemand sie ertappte oder Verdacht schöpfte, damit Tita nicht schwanger wurde, ihr nicht vor Wonne ein Schrei entfuhr, wenn sie gemeinsam den Höhepunkt erreichten. Von nun an gehörte dies alles der Vergangenheit an.
In stillschweigendem Einvernehmen faßten sie sich bei den Händen und begaben sich zur dunklen Kammer. Bevor sie eintraten, hob Pedro Tita auf die Arme, öffnete langsam die Tür, und vor ihren Augen zeigte sich die dunkle Kammer vollständig verwandelt. Alles Gerümpel war verschwunden. Nur das Eisenbett thronte noch majestätisch in der Mitte des Raums. Sowohl die seidenen Bettlaken als auch die Decke strahlten in leuchtendem Weiß, ebenso der Blumenteppich, der den gesamten Fußboden bedeckte, und die 250 Altarkerzen, die das nun fälschlicherweise dunkle Kammer genannte Zimmer hell erleuchteten. Tita war zu Tränen gerührt bei dem Gedanken, wieviel Mühe es Pedro gekostet haben mochte, den Raum so auszuschmücken, und Pedro desgleichen bei der Vorstellung, Tita habe dies alles insgeheim arrangiert.
So sehr verzehrten sie sich vor Leidenschaft, daß sie nicht einmal gewahr wurden, daß Nacha in einem Winkel des Zimmers soeben die letzte Kerze anzündete und sich gleich darauf zurückzog, indem sie sich in Rauch auflöste.
Pedro legte Tita aufs Bett nieder und entledigte sie liebevoll nach und nach all der festlichen Kleidungsstücke. Nachdem sie sich eine Weile hingebungsvoll angeschaut und gestreichelt hatten, ließen sie ihrer die ganzen Jahre über angestauten Begierde freien Lauf.
Die Schläge des Eisenkopfteils gegen die Wand und die kehligen Laute, die beiden entfuhren, vermengten sich mit dem Lärm Tausender von Tauben, die wild
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