Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
des menschlichen Geschlechts zu begründen und den glorreichen Sieg über Sünde und Tod hinauszuführen, keine gewalttätige Umkehrung der Reiche und Regierungen zugelassen, sondern vielmehr ihre Führung und Leitung eines so großen und heilsamen Werkes der Blindheit und Ungerechtigkeit unserer Gewohnheiten und Gebräuche unterworfen hat; das Blut so mancher auserwählten Lieblinge ließ sie fließen und gab zu, daß eine Reihe von Jahren dahinflösse, bevor die unschätzbare Frucht zur Reife gediehe. Die Sache desjenigen, der den Gewohnheiten und Gesetzen seines Landes folgt, ist von der Sache desjenigen sehr unterschieden, der solche zu meistern und abzuändern sich erkühnt. Jener führt Einfalt, Gehorsam und Beispiel zu seiner Entschuldigung an, und bei seinem Tun, es bestehe worin es wolle, mag Unglück stattfinden, aber Bosheit nie. Quis est enim, quem non moveat clarissimis monumentis testata consignataque antiquitas? 12 Außerdem noch, was Isokrates sagt, daß das Zuwenig sich näher an die Mäßigung fügt als das Zuviel. Dieser andere wandelt einen viel höckerigeren Weg. Denn, wer sich's anmaßt zu wählen und zu ändern, greift nach dem Ansehn des Richteramtes und muß beweisen, daß er das Fehlerhafte dessen, was er verdrängen will, erkennt, so wie das Bessere in dem, was er einführt.
Diese so alltägliche Betrachtung hat mich auf meiner Bank stetig erhalten und selbst der Kühnheit meiner Jugend einen Zaum angelegt; damit ich meine Schultern nicht mit einer so schweren Last drückte, als die, eine so wichtige Wissenschaft zu verantworten und hierin etwas zu wagen, was ich bei gesundem Verstand in derjenigen nicht wagen möchte, welche viel leichter ist, wozu ich auferzogen worden und in welcher Kühnheit im Urteilen keine nachteiligen Folgen hat. Mich deucht es Verwegenheit, wenn man öffentlich eingeführte und eingewurzelte Gewohnheiten und Verfassungen der schwankenden Phantasie eines einzelnen Menschen unterwerfen will. Eine eingeschränkte Vernunft kann nur eine eingeschränkte Gerichtsbarkeit haben: so, wie keiner Herrscher über seinesgleichen ist und es sich herausnehmen darf, über göttliche Gesetze zu richten, welches nicht einmal bei bürgerlichen Gesetzen verstattet wird, obgleich letztere bei alledem, daß die menschliche Vernunft dabei viel mehr mitwirkt, doch allemal entscheidende Richter über ihre Richter sind: und die äußerste Anmaßung es nur wagt, sie zu erklären und ihre Anwendung zu bestimmen, nicht aber ihnen auszuweichen oder sie zu ändern. Wenn die göttliche Vorsehung zuweilen über die Regeln hinausgegangen ist, an welche sie notwendigerweise ihre Gesetze hat binden müssen, so geschah das nicht, um uns davon freizusprechen. Das sind Verfügungen ihres unerforschlichen Ratschlusses, die wir nicht nachzuahmen, sondern zu bewundern haben, es sind außerordentliche Beispiele einer besonderen und eigenen Zulassung! Es ist dies eine Art von Wundern, welche die Hand Gottes uns darlegt, um ihre Allmacht zu beweisen, welche über unsere Einrichtungen und Kräfte hinausreicht und welche nachzuahmen zu suchen Gottlosigkeit und Narrheit wäre; der wir nicht folgen, sondern mit Erstaunen nachsinnen wollen. Es sind Handlungen der Gottheit, nicht der Menschheit. Cotta läßt sich darüber sehr vernünftig heraus: Quum de religione agitur, Tib. Coruncanium, P. Scipionem, P. Scaevolam, pontifices maximos, non Zenonem aut Cleanthem aut Chrysippum sequor. 13
Gott mag wissen, wie viele bei unserem gegenwärtigen Zwist, wo hundert Artikel, und zwar sehr wichtige und schwer zu entscheidende, wegzuschaffen und einzuführen sind, wie viele sich finden mögen, die sich rühmen können, die Ursachen und Gründe der einen und der anderen Partei reiflich erwogen und erforscht zu haben.
Es ist ein Haufen, wenn's einmal ein Haufen wäre, der eben nicht sonderlich imstande ist, uns zu beunruhigen. Die andere Schar aber, was beginnt sie? Unter was für einem Panier zeichnet sie sich aus? Mit ihrer Arznei geht es geradeso wie mit anderen unkräftigen, übel angebrachten Abführungsmitteln: die verdorbenen Säfte, die sie aus unserem Körper schaffen sollte, hat sie aufgerührt, verschärft und in Gärung gesetzt und ist selber im Körper steckengeblieben. Sie war zum Abführen zu schwach und hat uns gleichwohl entkräftet, so daß wir sie selbst nicht wieder loswerden können und von ihrer Wirkung nichts weiter haben als langes schmerzliches Bauchgrimmen. Die Sache ist, daß das Glück, welches
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