Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Glücks fest und standhaft bleibt.
Virtus, repulsae nescia sordidae,
Intaminatis fulget honoribus;
Nec sumit aut ponit securis
Arbitrio popularis aurae. 9
Es ist nicht zur äußern Schau, daß unsere Seele ihre Rolle spielen muß, sondern in uns und für uns selbst, wohin keine andern Augen blicken als unsere eigenen. Da deckt uns ihre Stärke vor der Furcht des Todes, vor dem Schmerz und selbst vor der Schande; da macht sie uns fest beim Verlust unserer Kinder und unserer Freunde und unserer Güter, und wenn die Gelegenheit sich dazu ergibt, führt sie uns auch in die Wagnisse des Kriegs. Non emolumento aliquo, sed ipsius honestatis decore. 10
Dieser Nutzen ist weit größer und weit wünschens-und hoffenswürdiger als die Ehre und der Ruhm, welche am Ende nichts anders sind als ein günstiges Urteil, das man über uns fällt. Um über einen Acker Landes zu urteilen, muß man aus einer ganzen Nation ein Dutzend Männer aussuchen; und über unsere Neigungen und unsere Handlungen zu urteilen, welches das schwerste und wichtigste Geschäft unter allen ist, überlassen wir der Stimme des gemeinen Haufens, der Mutter der Unwissenheit, der Ungerechtigkeit und der Unbeständigkeit! Ist wohl einiger Sinn dabei, das Leben eines weisen Mannes vom Urteile der Narren abhängig zu machen? An quidquam stultius quam, quos singulos contemnas, eos aliquid putare esse universos? 11 Wer es darauf angelegt, diesen zu gefallen, der ringet vergebens, und seinen Händen entwischt der Preis des Wettkampfs. Nil tam inaestimabile est quam animi multitudinis. 12 Demetrius sagte scherzhafterweise von der Stimme des Volks, er mache sich ebensowenig aus der, welche ihm von oben abginge, als aus der von unten. Ego hoc judico, si quando turpe non sit, tamen non esse non turpe, quum id a multiudine laudetur. 13
Keine Kunst, keine Geschmeidigkeit des Geistes könnte unsere Schritte nach einem so irrigen und unwissenden Wegweiser leiten. In dieser Verwirrung von Windgeräusch, von Volksmeinung und Gerüchten, durch welche wir uns treiben lassen, läßt sich kein Weg ausmachen, der etwas tauge. Laßt uns kein so wankelhaftes, unbeständiges Ziel vorstecken, folgen wir immer geradewegs der Vernunft. Auf diesem Wege möge uns der öffentliche Beifall folgen, wenn er will, und weil er ganz vom Glück abhängt, so haben wir keinen Grund, ihn auf einem andern Wege zu erwarten als auf diesem. Ich würde ihm deswegen nicht folgen, weil der geradeste Weg der kürzeste ist, sondern ich würde ihm folgen, weil ich aus der Erfahrung weiß, daß er am Ende immer als der glücklichste und der nützlichste befunden wird. Dedit hoc providentia divina munus, ut honesta magis juvarent. 14
Ein alter Schiffer unter den Alten sagte folgendermaßen zu Neptun: "O Gott, du kannst mich retten, wenn du willst; wenn du willst, kannst du mich untergehen lassen, aber mein Ruder halte ich immer gerade." Ich habe zu meiner Zeit tausend geschmeidige, ängstliche, doppelsinnige Menschen gesehen, von denen niemand zweifelte, sie besäßen mehr Weltklugheit als ich, und sie sind da zugrunde gegangen, wo ich mich gerettet habe.
Risi successu posse carere dolos. 15
Als Paulus Ämilius nach seinem glorreichen Mazedonischen Feldzuge aufbrach, ermahnte er vor allen Dingen das römische Volk, über seine Handlungen die Zunge im Zaum zu halten, solange er abwesend sei! O welch eine große Störerin ist nicht die Zügellosigkeit im Urteilen! Um so größer, weil nicht jeder die Standhaftigkeit des Fabius gegen die widrige beleidigende Volksstimme besitzt, welche lieber seine Macht von den eitlen Einfällen der Menschen vermindern ließ, als seinen Auftrag mit günstigerm Ruhme und Volksbeifall weniger gut ausrichten wollte. Es liegt ein gewisses unnennbares, süßes Gefühl darinnen, sich loben zu hören; allein wir legen dennoch viel zuviel hinein.
Laudari haut metuam, neque enim mihi cornea fibra est,
Sed recti finemque extremumque esse recuso,
Euge tuum et belle. 16
Ich kümmere mich nicht so viel darum, wie ich mit andern stehe, als ich mich darum bekümmere, wie ich mit mir selbst stehe. Ich will reich sein für mich und nicht auf Borg. Fremde sehen nur den äußern Schein und äußere Begebenheiten; ein jeglicher kann eine äußerliche gute Miene annehmen und innerlich voller Fieber und Schrecken sein, man sieht mir nicht ins Herz, man sieht nur meine Miene. Man hat recht, die Heuchelei zu verschreien, welche im Krieg ihr Wesen hat; denn was ist
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