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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel de Montaigne
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Mensch wäre wohl sehr einfältig, wenn er eher nach einem hübschen Kleide langte als nach einer nahrhaften Mahlzeit. Nach dem Notwendigsten muß man trachten, wie unser gewöhnliches Gebet besagt: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen. Wir leiden Mangel an Schönheit, Gesundheit, Weisheit, Tugend und mehr dergleichen wesentlichen Dingen; die äußerlichen Zierden lassen sich nachher suchen, wenn wir für die wesentlichen Bedürfnisse gesorgt haben. Die Theologie handelt weitläufiger und treffender über diesen Gegenstand, ich aber bin nicht sehr darinnen gewiegt. Chrysippus und Diogenes sind die ersten und standhaftesten Schriftsteller in Betracht der Verachtung des Ruhms gewesen, und unter allen Wollüsten, sagten sie, wäre keine gefährlicher und sorgfältiger zu vermeiden als diejenige, welche uns der Beifall anderer Menschen gewährt. Wirklich zeigt uns die Erfahrung dergleichen Verrätereien, welche höchst schädlich waren. Nichts in der Welt vergiftet die Fürsten mehr als die Schmeichelei; es ist nichts, wodurch gottlose Buben sich bei ihnen so leicht in Gunst setzen, und keine Kuppelei ist so geschickt oder gewöhnlicher, die Keuschheit der Weiber zu bestechen, als sie mit ihrem eigenen Lob zu beräuchern und zu nähren. Der vornehmste Zauber, welchen die Sirenen gebrauchen, um den Ulysses zu beschleichen, ist von dieser Natur.
     
    Komm, preisvoller Odysseus, erhabner Ruhm der Achaier,
    lenke das Schiff landwärts, um unsre Stimme zu hören. 1
     
    Jene Philosophen sagten: aller Ruhm von der ganzen Welt sei nicht so viel wert, daß ein verständiger Mensch nur einen Finger ausstrecke, um ihn aufzuheben.
     
    Gloria quantalibet quid erit, si gloria tantum est? 2
     
    Ich spreche von Ruhm an und für sich selbst. Denn er hat oft sehr nützliche Folgen, weswegen er wünschenswürdig werden kann: Er erwirbt uns Wohlwollen und schützt uns einigermaßen vor Anfällen und Beleidigungen von andern Menschen und so mehr dergleichen. Von dieser Beschaffenheit waren auch die Lehrsätze des Epikur. Denn diese Vorschrift seiner Sekte: verbirg dein Leben, welche den Menschen verbietet, sich mit öffentlichen Ämtern und Verhandlungen zu beladen, setzt auch notwendig voraus, daß man den Ruhm verachten müsse, welcher in dem Beifall besteht, den die Welt uns über die Handlungen erteilt, die wir vor ihren Augen verrichten. Derjenige, der uns gebeut, uns zu verbergen und für nichts anders Sorge zu tragen als für uns selbst; der nicht will, daß wir andern bekannt seien, der will auch noch weniger, daß wir von ihm geehrt und gerühmt werden; auch widerrät er dem Idomeneus, sich in seinen Handlungen nach der allgemeinen Meinung und Würdigung einzurichten, es sei denn, andern zufälligen Unbequemlichkeiten auszuweichen, welche ihm die Verachtung der Menschen zuziehen könnten. Diese Lehren sind meines Bedünkens unendlich wahr und vernünftig; aber wir sind, ich weiß nicht wie, doppelsinnig, welches macht, daß wir nicht glauben, was wir glauben, und daß wir uns von dem, was wir an uns selbst verdammen, nicht losmachen können. Man sehe nur die letzten Worte des Epikur, die er kurz vor seinem Tode sagte; ihr Sinn ist groß und eines solchen Philosophen würdig, indessen haben sie doch einen kleinen Anstrich von Empfehlung seines Namens und von diesem Hang zum Ruhm, welchen er durch seine Lehren so sehr verschrien hatte. Hier ist ein Brief, welchen er kurz vor seinem letzten Hauch in die Feder sagte:
     
    Epikur dem Hermachus.
     
    "Alles Heil zuvor.
    Derweil ich den glücklichsten und damit den letzten Tag meines Lebens erlebte, schrieb ich dieses unter solchen Schmerzen in der Blase und andern Eingeweiden, die durch nichts vergrößert werden können, indessen werden sie mir einigermaßen vergolten durch das Vergnügen meiner Seele, wenn ich mich an meine Schriften und Abhandlungen erinnere. Du aber nimm Dich, wie es der Liebe und Zuneigung gebührt, die Du von Kindesbeinen an gegen mich bezeigt hast, nimm Dich der Kinder des Metrodorus an und gewähre ihnen Deinen Schutz."
    So weit sein Brief, und das, was mich sein Vergnügen, welches er in seiner Seele über seine Schriften und Abhandlungen zu empfinden sagt, so auslegen läßt, daß er dadurch einigermaßen auf den Ruhm zielt, den er dadurch noch nach seinem Tode zu erhalten hofft, das ist die Verordnung in seinem Testament, worin er verlangt, daß Aminomachus und Timokrates seinen Erben jährlich zur Feier seines Geburtstages im

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