Essen kann jeder
ein Hartz-IV-Menü. Damit könne sich eine Familie »ausgeglichen und wertstoffreich ernähren«, wie er gegenüber der Welt zum Besten gab. Man höre: wertstoffreich. Nicht nährstoffreich. Das ist natürlich viel günstiger: Nährstoffe sind im teuren Obst und Gemüse, Wertstoffe in jedem Gelben Sack. Wenn man vom Joghurt den Becher isst, hat man nur wenige Kalorien, dafür aber viel Wertstoff zu sich genommen. Sarrazin ist ein Diätgenie. Der Hobby-Ökotrophologe, Hobby-Statistiker und Profi-Hetzer hat auch gleich noch vorgerechnet, was so ein ausgewogenes, wertstoffreiches Hartz-IV-Menü kostet: 3,76 Euro. Das ist günstig. Sehr günstig sogar. Pech nur, dass der Tagessatz für Essen für Kinder bei 2,28 Euro liegt. Aber wie gesagt, die sind ja eh zu dick.
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die vermeintliche Dickleibigkeit einkommensschwacher Schichten nicht Symptom eines völlig aufgeblasenen, dekadenten Sozialsystems ist, wo die Armen sich fett fressen, während die Töchter der deut schen Leistungsträger sich zu Tode hungern. Nein, vielleicht sind die zusätzlichen Pfunde eher eine Art proletarischer Kum merspeck. Es mag in den Köpfen einiger rechtskonservativer »Leistung-muss-sich-wieder-lohnen«-Prediger die romantische Vorstellung herrschen, Armut sei ein Schaukeln in der sozialen Hängematte, in der rechten Hand die Bierflasche, in der linken die Fernbedienung. Doch die Realität sieht anders aus. Armut ist Stress, besonders für Kinder. Denn Kids aus der Unterschicht spüren jeden Tag eine tonnenschwere Last auf ihren Schultern: materielle Sorgen, Zukunftsängste, oft auch Vernachlässigung, zerrüttete Familienverhältnisse etc. Wenn Stress wirklich ein entscheidender Faktor für Dickleibigkeit ist, dann ist es kein Wunder, wenn Kinder in sozialen Brennpunkten aufgehen wie Hefeklöße. Für mich klingt das sehr plausibel. Und auf jeden Fall intelligenter oder bedenkenswerter als eine populistische und überhebliche Unterschichtenschelte à la Sarrazin, der – nebenbei gesagt – als Beamter sein (Berufs-)Leben lang nicht dem Stress einer prekären Situation ausgesetzt war und somit schön schlank bleiben konnte.
Auch mit dem Vorurteil, dass Dicke weniger leisten, sollte an dieser Stelle einmal aufgeräumt werden. Schließlich wurden wir 16 Jahre lang von einem Mann regiert, der ungefähr 40 Saumägen wog, also um die 160 Kilo. Ohne Dicke gäbe es keine deutsche Einheit. Quod erat demonstrandum.
Und wie ist das mit dem Fernsehen? Warum macht eigentlich Fernsehen dick? Auch das soll mit dem Cortisol zusammenhängen. Denn Kinder, die zu viel fernsehen oder Computer spielen, schlafen schlechter. Das hat zumindest die Universität München in einer Studie festgestellt. Im Schlaf nimmt aber der Cortisol-Spiegel ab. Das ergibt Sinn, weil der Körper sich im Ruhemodus befindet. Wer weniger schläft, schüttet mehr Cortisol aus und wird leichter dick. Also, liebe Sportsfreunde: Die Sportschau macht dick und nicht das Bier, das Ihr beim Glotzen trinkt!
Bin ich dick oder fett?
Unter den Gesichtspunkten »Stress, Angst und Verzweiflung« ist Übergewicht natürlich ein drängendes Problem unserer Gesellschaft. Aber der Pathologisierung breiter Bevölkerungsschichten und der Pervertierung unseres Essverhaltens durch eine narzisstisch verblendete Gesundheitsindustrie will ich entschlossen entgegentreten. Lasst die Kirche im Dorf und den Dicken am Buffet.
Deshalb biete ich einen Kompromiss an. Lasst uns sagen: Es gibt Fette und Dicke. Das eine ist schlimm, das andere nicht. Zu welcher Personengruppe Sie gehören, wenn Sie denn meinen, einen Ranzen zu tragen, sollten Sie Profis überlassen. Keinen Diätberatern, die Ihnen ihre Methoden und Produkte andrehen wollen, und keinen Männerzeitschriften oder Modemagazinen, die ein Volk von klapprigen Supermodels propagieren. Und schon gar nicht der großbuchstabigen Qualitätspresse, die im Dienste der allgemeinen Volksgesundheit Alarm schlägt.
Der Spiegel schrieb übrigens schon 1977, jeder zweite Deutsche sei übergewichtig und das Volk werde immer dicker. Ich prophezeie Ihnen: Auch im Jahre 2030 wird jeder zweite Deutsche zu dick sein und die Nation wird weiterhin immer dicker. Im Jahr 2060 auch. Denn solange Zeitungen verkauft werden müssen, muss der Deutsche dicker werden. Wenn wir bis dahin nicht ausgestorben sind. Denn wie der große Indianerhäuptling Starving Bull sagt: Erst wenn die letzte Diätpille gegessen und die letzte voll entrahmte Milch
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