Essen kann jeder
beweist: Nie waren – angeblich – die Menschen so dick wie heute, nie lebten sie länger. Komisch, was? Erst ab einem Body-Mass-Index von 35, also Adipositas zweiten Grades, verkürzt sich die Lebenserwartung wirklich gravierend. Und zu dieser Personengruppe gehören gerade mal 6 % der Bevölkerung. Schlimm genug. Aber ein Fett-Tsunami, der über Deutschland rollt, ist das auch nicht.
Zumal ich beim Schlendern durch die Fußgängerzonen den Eindruck bekomme, dass, rein medizinisch betrachtet, heute mehr junge Mädels akute Probleme mit Untergewicht haben als mit Übergewicht. Schauen Sie sich die ganzen Topmodels doch mal an! Viele tragen ihr Cartier-Armband mittlerweile als Gürtel, und manche sind so dünn, dass man sie beim Föhnen anbinden muss. Dabei toleriert unser Körper Untergewicht viel weniger als Übergewicht. Wenn ich 30 Kilogramm abnehme, bin ich in kürzester Zeit tot. Wenn ich 30 Kilogramm zulege, passiert erst mal überhaupt nichts. Selbst mit 300 Kilogramm mehr müsste ich mir vielleicht eine neue Badehose kaufen und langfristig würde meine Lebenserwartung sinken. Kurzfristig steigt sie aber: Wenn mich ein Fiat Panda anrumst, ist der Fahrer tot und nicht ich.
Eine Studie des Robert-Koch-Instituts zeigte: Bei etwa einem Fünftel aller 11- bis 17-Jährigen in Deutschland liegt der Verdacht auf eine Essstörung vor. Und laut Angaben der Bun deszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind mindestens 100 000 Menschen in Deutschland magersüchtig. Wen wundert das? In Amerika sagten bei einer Umfrage 15 % der Kinder: Hätten sie die Wahl, würden sie lieber einen Arm verlieren als zu dick zu sein. Wie pragmatisch veranlagt manche Kinder doch sind; mit einem Körper ohne Arme ist schließlich nicht gut Kirschen essen.
Ein dickes Geschäft
Dicke sind die letzte Gruppe, die man noch offen diskriminieren darf. Sagen Sie doch mal in die Runde: »Nichts gegen Afrikaner. Aber dieses Schwarz ist doch nicht schön.« Sie würden wahrscheinlich gekreuzigt werden. Doch wenn Sie sagen: »Hella von Sinnen, tolle Frau, aber schön ist ihre Figur nicht!« Entrüstung? Fehlanzeige. Niemand würde vermuten, dass Sie in Wirklichkeit nur ein homophober Trottel sind. Auf Dicke darf man einprügeln, weil sie faul und willensschwach und ganz allein für ihre Widerwärtigkeit verantwortlich sind. Das ist zwar, wissenschaftlich betrachtet, ziemlicher Quatsch. Aber wenn der Deutsche aus dem leeren Bauch heraus denkt, hat die Göttin der Weisheit die Klappe zu halten.
Wäre es nicht an der Zeit, umzukehren und innezuhalten? Herauszuschreien: Weg mit der Oberflächlichkeit! Es lebe die Sinnesfreude! Lasst wieder das Herz und den Verstand eines Menschen über dessen Wert entscheiden. Lasst uns wieder das Land der Dichter und Denker werden, wo ein dicker Goethe mit einem molligen Johann Sebastian Bach bei einem herzhaften Käsefondue über das Wesen eines erfüllten Lebens sinniert.
So etwas fordert natürlich kein vernünftiger Mensch. Denn die wirtschaftlichen Kollateralschäden dieser kalorienhaltigen Entspannungspolitik wären viel zu hoch. 200 Millionen Europäer fangen jährlich eine Diät an und geben dabei 93 Milliarden Euro für Diätlebensmittel aus. Wer sollte denn das Zeug kaufen, wenn alle plötzlich mit ihrem Gewicht glücklich wären? Wer sollte denn dann die ganzen Ernährungsratgeber kaufen? Die Halbfettbutter? Molkedrinks? Die Abnehmpillen? Das Speck-weg-Pulver? Vom Übergewicht der Menschen ernährt sich eine milliardenschwere Industrie. Und die lebt im wahrsten Sinne des Wortes wie die Made im Speck.
Eine besonders gewinnträchtige Branche ist die Süßstoffindustrie. Vor allem in Amerika. In kaum einem anderen Land werden so viele zuckerfreie Softdrinks geschlabbert. Da reibt man sich verwundert die Augen und fragt: Sind die Amerikaner nicht das Volk der XXXXL-Hosen? Stimmt, Sie können argumen tieren, dass die dicksten Menschen am meisten Diätprodukte brauchen. Andererseits werden Süßstoffe nicht nur an Amerikaner, sondern auch an Tiere verfüttert. Hunderte von Tonnen Saccharin landen jährlich in Deutschland in der Futterkrippe. Das macht der Bauer aber nicht, weil eine fette Sau ästhetisch kein schöner Anblick ist, sondern weil er Süßstoff als Masthilfe einsetzt. Denn wenn die Sau Süßstoff bekommt, frisst sie mehr und erlangt schneller ihr Schlachtgewicht. Nicht wenige Experten behaupten, dass dies bei uns Menschen ähnlich sei. Wie das physiologisch genau funktioniert, ist noch nicht
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