Essen mit Freunden - Roman
ihr raten, endlich mehr unter Menschen zu gehen. Wenn das Weinlaub dann abgefallen war und Ruhe einkehrte im Hof, weil es kälter wurde und selbst die beiden Jungen aus dem zweiten Stock nicht mehr drauÃen Ball spielten, wusste sie auch ohne Glühwein und Lametta, dass Weihnachten vor der Tür stand. Was nie ein Problem gewesen war. Bis jetzt.
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»Internetdating ist einfach super«, sagte Thorben voll Ãberzeugung, als Luise beim alljährlichen Treffen zum vierten Advent sein Geschenk ausgewickelt hatte. Sie starrte ihn irritiert an. Es war ein Gutschein für drei Schnuppermonate der Internet-Partnerbörse, in der auch er sich seit ein paar Wochen herumtrieb. »Und es ist so bequem! Du kannst was von regelmäÃig Pilates und heiÃen Dessous schreiben und dabei ganz entspannt in deinen Jogginghosen auf dem Sofa sitzen.« Er schaute Luise fröhlich und mit roten Wangen an.
»Na prima«, sagte sie. »Soll das heiÃen, du findest, dass ich mich im Netz verstecken muss, weil ich sonst nichts auf die Reihe kriege? Keine Beziehung, keinen Job? Dass ich etwas dazuerfinden muss, um attraktiv zu sein? Und dass ich zufrieden sein kann, wenn dann mein erfundenes Ego mit einem anderen erfundenen Ego online einen netten Abend hat, während unsere wahren Leben ein Desaster sind? Vielen Dank auch!« Sie versuchte, es wie einen Scherz klingen zu lassen, was ihr jedoch misslang.
Thorben sah sie verstört an. »Eigentlich wollte ich dich nur ein bisschen ablenken, weil wir ja über die Weihnachts
tage alle weg sind und du dieses Jahr auch nicht zu deiner Mutter â¦Â« Mitten im Satz unterbrach er sich und biss sich auf die Lippen.
Luise blickte auf den Gutschein, schweigend, Tränen in den Augen.
»Ich habe es nett gemeint. Okay? Ich wollte dir eine Freude machen. Mehr nicht.«
»Dann buche ich es unter gut gemeintem Versuch ab«, sagte Luise barsch und griff sich das nächste Päckchen.
»Bevor du es auspackst«, kam Sybille ihr zuvor, indem sie ihre Hand auf Luises Finger legte, die bereits am Seidenband zuppelten: »Auch mein Geschenk ist nett gemeint und kein verkappter Hinweis, dass ich finde, du siehst mitgenommen und alt aus. Es ist einfach nur eine Kleinigkeit, mit der ich dir etwas Gutes tun will.«
»Hmmm«, grummelte Luise und riss das Seidenpapier auf. Zum Vorschein kam eine Packung der Gesichtscreme, die sie vor einer Weile heimlich bei Sybille im Bad ausprobiert hatte und die sie seither in Parfümerien umschlich, jedoch mit Blick auf das Preisschild immer wieder zurück ins Regal stellte. Luise versuchte, den Kloà im Hals hinunterzuschlucken. »Von wegen Kleinigkeit â du spinnst doch!«
»Ich denke, ich weià ganz gut, was ich tue. Genauso wie Anne«, sagte Sybille und lieferte das Stichwort, bei dem Anne in ihre Tasche griff.
»Ich habe nämlich auch einen Gutschein.« Anne schob einen Umschlag über den Tisch. »Natascha geht regelmäÃig dorthin und findet sie gut. Ich habe extra nachgefragt, ob du das auch zwischen den Jahren einlösen kannst. Sie haben geöffnet, du musst nur vorher anrufen und einen Termin ausmachen.«
»Anderthalb Stunden?«, sagte Luise mit gekrauster Stirn, nachdem sie die Klappkarte des ayurvedischen Wellness-Instituts überflogen hatte. »So lange kann doch kein Mensch auf einer Massagebank liegen.« Aber das kam schon so leise, dass es kaum mehr zu verstehen war. Der Rest versank in Tränen.
Luise hatte sich den ganzen Nachmittag zusammengerissen. Am liebsten wäre sie gar nicht zu Sybille gekommen, doch da sie sich seit über zwanzig Jahren immer reihum am vierten Advent trafen, konnte sie sich nicht davor drücken. Und warum auch? Der trotzige Teil in Luise wollte nicht das alljährliche Ritual absagen, nur weil sie ihren Job los war, keine Beziehung hatte und ihre Mutter vor drei Tagen tatsächlich mit einem geriatrischen Tangotänzer nach Argentinien gefahren war, um dort ihren siebzigsten Geburtstag zu zelebrieren, während ihre Tochter sich allein unterm Weihnachtsbaum grämte. Anne hatte sich damals schlieÃlich auch mit vierzig Fieber nicht gedrückt, sondern hatte kurzerhand alle zu sich eingeladen, auf die Gefahr hin, dass keiner der drei anderen die Weihnachtstage ohne Viren verlebte. Also hatte der weniger trotzige und sehr verletzte Teil Luises ein bisschen Baldrian genommen und ein paar Notfallbonbons
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