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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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mit Krippenspiel für die Kleinen waren schon lange vorüber, die Christvespern hingegen in vollem Gange. Hinter den Fenstern glückliche Familien, Rotkohl und Knödel, Kinderlachen. Den Schal bis über die Ohren gezogen, die viel zu dünnen Schuhe durchnässt, die Hände tief in den Taschen des alten Dufflecoats, wanderte Luise durch die leeren Straßen. Vor einer halben Stunde hatte es zu schneien begonnen, und der Schnee fiel in immer dichter werdenden Flocken. Um die Straßenlaternen bildeten sich glitzernd wirbelnde Heiligenscheine. Auf einer verschneiten Autoscheibe war eine schon leicht verwehte Botschaft gemalt. Lena + Moises. Ein Herz drum, ein Pfeil durch. Weihnachten, das Fest der Liebe. Luise zog die Schultern noch ein Stück höher, so dass sie fast ihre Ohrläppchen berührten. Wie viele Menschen gab es in dieser Stadt? Wo waren sie nun? Hatten sie alle ein Zuhause mit Weihnachtsbaum und Zuckerguss? Sie ging weiter. Der Döner-Imbiss am Hauptbahnhof hatte geöffnet.
    Â»Einen Tee?«, fragte der Mann hinterm Tresen, als Luise die handgeschriebene Angebotstafel überflog.
    Â»Nein, danke. Ein Bier!«, sagte sie, obwohl ihr schon kalt genug war.
    Sie bestellte Falafel dazu und aß im Stehen mit Blick auf
den Taxistand. Um nicht auf die fröhlich blinkenden Lichterketten schauen zu müssen, drehte sie der Eingangstür den Rücken zu. Weiter hinten im Laden redete der Besitzer mit jemandem in einer Sprache, die Luise nicht verstand. Das beruhigte sie, denn so würde sie zum Essen wahrscheinlich kein »Stille Nacht« über den Lautsprecher der Musikanlage hören müssen. Die Bällchen im Falafel schmeckten wie Sägemehl, was nicht am Koch lag, sondern an ihr, das wusste sie. Ihr war zum Heulen zumute. Die Eingangstür ging auf, noch mehr Kundschaft, Gelächter, der Getränkekühlschrank klappte. Ohne sich umzudrehen, biss sie in das Fladenbrot. Pappmaché mit Soße.
    Â»Luise?«
    Widerstrebend wandte sie den Kopf zur Seite. Sie brauchte einen Augenblick, um das Gesicht einzusortieren. Dann fielen ihr wieder die Schubladen ein, in denen sie es bereits vor einer Weile abgelegt hatte: ›Zu viele Frauen‹, ›Zu viele Geschichten‹, ›Zu sehr wie Jörg‹.
    Â»Hallo«, sagte sie und blickte wieder hinaus zum Taxistand. Oles Freund Markus war wirklich der Letzte, mit dem sie jetzt reden wollte.
    Â»Dann bist du also gar nicht weg«, sagte er, halb Frage, halb Erkenntnis.
    Luise warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, ohne zu antworten. Dann nahm sie einen Schluck Bier aus der Flasche.
    Â»Ole hatte erzählt, dass er dich auch eingeladen hat für heute Abend, aber du hast abgesagt. Wolltest du nicht mit einem Freund zu dessen Eltern fahren?«
    Â»Ich bin am Bahnhof«, sagte sie. Ein Blick, kälter als der Schnee da draußen. »Züge kommen, Züge gehen. Wonach sieht das wohl aus?« Und noch ein Schluck Bier, auch kalt.
    Es stimmte. Ole hatte sie eingeladen. Weihnachten im Kreis der Familie. Enge Freunde kämen abends zum Essen. Sie hatte dankend und mit Ausrede abgelehnt. Sie konnte heute keine Familie ertragen. Schon gar nicht Oles. Und auch Bescherungen hatte es in ihrem Leben in letzter Zeit genug gegeben.
    Â»Es sieht jedenfalls nicht so aus, als würdest du gleich verreisen wollen, um irgendwo Weihnachten zu feiern. Keine Geschenke, kein Gepäck.«
    Luise blickte an sich hinunter, auf ihre durchweichten Schuhe, mit denen sie in einer dreckigen Schneematschpfütze stand. »Ist im Schließfach«, sagte sie nach kurzem Überlegen.
    Â»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
    Â»Bei mir schon.« Luise hoffte, dass er endlich aufhören würde mit seinen Fragen.
    Â»Sie haben tatsächlich Wein. Ich habe gleich zwei Flaschen genommen. Kommst du?« Etwas Großes, Schlankes, mit Rehaugen baute sich neben Markus auf und legte die Hand auf seinen Ärmel. Manikürte Fingernägel mit Glitzersteinchen auf den weißen Nagelmonden. Kleine Blütenmuster in Perlmutt zweigten davon ab.
    Â»Luise, falls dir jetzt spontan einfällt, dass du doch nicht über die Weihnachtstage verreist, könntest du einfach mit uns zu Ole fahren. Wir haben noch Platz im Wagen.«
    Er sah sie an mit einem Blick, den sie nur zu gut kannte. Der sie daran erinnerte, wie sie schon einmal vor langer Zeit Weihnachten in dieser Stadt verbracht hatte. Und auf diese

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