Essen mit Freunden - Roman

Schlangenbeschwörer. Schlangen pflegen sensiblen Umgang und wollen umworben und gewürdigt werden. Sie vertragen keinen Ghettoblaster und keine Soundmaschine, sondern verlangen nach Flötenspiel. Schlangenworte sind ihnen ähnlich. Sie widersetzen sich der Rechtschreibprüfung des Computers und bedürfen eines wachen Blicks. Luise hatte in der vergangenen Woche aus den Vorgaben und Stichworten von Doktor Kahle einen fließenden Text formuliert, hatte ihn feinfühlig überarbeitet, ausgefeilt und präzisiert. Für seine allzu trockenen Formulierungen hatte sie Worte gefunden, die einen Rhythmus hatten und mit dem Rest harmonierten. Sperrige Fachtermini, die nicht zu vermeiden waren, hatte sie behutsam in den Gesamtkontext eingebettet. Daher wusste sie auch genau, dass es bei einer autologen Fettzelltransplantation um eine Verpflanzung eigener und nicht fremder
Fettzellen ging, hatte nachgelesen, worum es sich bei hyaloronsäurehaltigen Fillern handelte, und hatte aufgeführt, dass Doktor Kahle Couperose unter anderem mit Elektrokaustik behandelte. So hatte sie es geschrieben. So hatte es Doktor Kahle zu lesen bekommen und abgesegnet. Hätte sie ahnen müssen, dass ihre Chefin nach Doktor Kahles Okay für den Text auch noch die Rechtschreibprüfung des Computers als Kontrollinstanz herangezogen hatte, ohne Luise einen Blick auf das Endergebnis werfen zu lassen? War Luise nun etwa verantwortlich dafür, dass so aus Elektrokaustik Elektroakustik wurde, Falten nicht mit Fillern, sondern mit Filtern behandelt wurden und die Fettzellen nicht mehr in einer autologen, sondern einer autonomen Transplantation verpflanzt wurden?
    Doktor Kahle, der vermutlich arbeitslos würde, wenn es autonome Transplantationen gäbe, zündete sich eine Zigarette an und beobachtete wortlos das Geschehen.
    Â»Selbst dazu, die Adresse richtig von der Visitenkarte abzuschreiben, waren Sie nicht in der Lage.« Frau Bergs Finger bohrte sich auf die Rückseite des Faltblattes. »Können Sie noch nicht einmal Korrektur lesen? Wofür taugen Sie überhaupt? Sie haben den Flyer, in den ich so viel Arbeit gesteckt habe, verhunzt. Sie sind eine einzige Blamage für mein Büro!«
    Â»Ich habe Batonstraße geschrieben«, sagte Luise leise, weil sie wirklich Batonstraße geschrieben hatte und nicht Betonstraße, wie es nun rechtschreibprüfungskorrekt dort stand. »Und ich weiß nicht nur, wie man sie richtig schreibt, sondern auch, wo sie ist. Ich fahre viermal in der Woche daran vorbei.« Sie hob ihren Blick und sah Frau Berg ins Gesicht. Das hatte sie in einer vergleichbaren Situationen bisher noch nie gewagt.
    Â»Papperlapapp. Wenn Sie es geschrieben hätten, stünde es ja da. Wofür bezahle ich Sie eigentlich?«
    Â»Ich habe es korrekt geschrieben«, wiederholte Luise mit ruhiger Stimme. Was eine große Leistung war, denn diese rote Welle Wut, die schon vorhin in ihr nach oben gerollt war, saß nun wieder kurz vor ihrem Kehlkopf. Luise hatte Angst, dass sie Feuer speien würde, wenn sie die Woge nicht aufhielt. Dass sie Dinge aussprechen könnte, die sie bereuen müsste. Die endgültig wären. Die nichts hinterlassen würden als verbrannte Erde.
    Â»Ich glaube Ihnen kein Wort, Frau Blum. Sie haben einen großen Fehler gemacht. Da brauchen Sie sich jetzt gar nicht rauszureden. Sie sollten sich bei Doktor Kahle für Ihre unqualifizierte Arbeit entschuldigen.«
    Â»Das ist wirklich nicht nötig«, warf der ein, doch drang er mit diesem Einwand nicht durch.
    Â»Ich rede mich nicht raus, Frau Berg«, sagte Luise und hielt dem Eisbergblick stand. »Ich habe korrekt gearbeitet, denn ich habe den Flyer nicht nur Korrektur gelesen, sondern ich habe ihn auch verfasst, den gesamten Text, den Sie Doktor Kahle letzte Woche vorgelegt hatten.« Luises Stimme war klar und tief wie ein Schiffshorn im Nebel. Dann brach die Sturmflut los. Die rote Welle wurde stärker als Luises Angst. »Sie wissen es doch genau: Der Flyer war meine Arbeit, nicht Ihre. Und ich muss mich dafür auch nicht entschuldigen, weder bei Ihnen noch bei Doktor Kahle, denn diese Fehler im gedruckten Text sind nicht meine Schuld. Sie selbst haben den Flyer offensichtlich noch mal mit der Rechtschreibprüfung korrigiert, nachdem er Doktor Kahle vorgelegen hatte. Sie haben diese Fehler erst hineingebaut. Ich habe den Text danach nicht mehr zu Gesicht