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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Kollegin an der Strippe. Sie hat mir erzählt, was sie mitbekommen hat. Sie macht sich große Sorgen um dich. Und weil du nicht mehr zu erreichen warst, bin ich hergekommen, so schnell ich konnte.«
    Â»Das tut mir leid«, sagte Luise, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. »Svenja wird jetzt eine Menge aushalten müssen. Ich hoffe, sie nimmt mir das nicht übel.«
    Â»Sie wird es verkraften. Ich schätze mal, du hast ihr so viele Kekse dagelassen, dass sie fürs Erste über die Berg-Launen hinwegkommt. Auch wenn der Vorrat hier sicher alles andere in den Schatten stellt.« Er nahm sich einen der Cantuccini aus der riesigen Dose, die Luise zu den Chips auf den Tisch gestellt hatte.
    Â»Am allerwichtigsten aber ist, dass du wieder gute Laune bekommst«, sagte Sybille und schenkte Sekt nach. »Ich muss gestehen, dass ich mich weniger gesorgt, sondern eher ge
freut habe, als Thorben anrief, um es mir zu erzählen. Es war doch längst fällig, dass du endlich gehst. Darum habe ich sofort Anne Bescheid gesagt, damit wir diesen Wendepunkt in deinem Leben gebührend feiern können.«
    Â»Und weil ich das mit dem Feiern eine gute Idee fand, habe ich einfach früher Schluss gemacht und auch gleich Natascha mitgenommen«, sagte Anne.
    Â»Und ich dann noch mehr Sekt«, grinste Natascha. Sie zog eine weitere Flasche aus ihrer Umhängetasche und stellte sie auf den Tisch. »Willkommen in der Freiheit!«
    â€‚Zimtsternschnuppen
    Es gibt Menschen, die behaupten, man wisse in einer Stadt nie, welche Jahreszeit gerade ist, weil man den Sommer kaum vom Frühjahr oder Herbst unterscheiden könne. Lediglich den Winter erkenne man an der schlechten Laune der Mitmenschen, an den Matschrändern auf den Stiefeln und den Glühweinschwaden, die den Blick vernebeln. Luise wusste, dass das nicht stimmte. Man musste nur die Augen offen halten und die Sinne schärfen für die feinen Veränderungen in der Stadt, die unabhängig vom Wetter stattfanden.
    Pünktlich Ende April kehrten die Mauersegler zurück, die unter der Dachrinne im Nachbarhaus nisteten und ihre Abende damit verbrachten, mit lautem Geschrei in halsbrecherischen Runden über Luises Balkon hinwegzufegen. Daran erkannte sie, dass es Frühjahr geworden war und sie in ihrer Straße bald über einen zarten Teppich aus herabfallenden Kirschblüten flanieren konnte. Kurz danach öffnete
die Eisdiele um die Ecke und läutete den Sommer mit einer orange-weiß-gestreiften Markise ein, die sie schützend über die Köpfe der Kundschaft breitete. Unabhängig vom Wetter bevölkerte für die nächsten fünf Monate eine lange Schlange Wartender den Bürgersteig, denn hier gab es das beste Aprikoseneis des Viertels. Rollten die Eisverkäufer ihre bunten Fahnen wieder ein und legten Schokostreusel und Himbeersauce zum Winterschlaf ins Regal zurück, wurden sie von lautstarkem Vogelgezwitscher begleitet. Der Sommer gab den Staffelstab weiter an den Herbst, und in Luises Kopf erklang das Vogelbeerbaum-Gedicht von Marina Zwetajewa, das sie so sehr mochte, denn neben dem Ladenfenster der Eisdiele flammten die Ebereschen genauso wie in den Gedichtzeilen. Beim Anblick der roten Dolden konnte Luise der Lyrikerin ihre Lust, in die bitteren Beeren beißen zu wollen, nachfühlen, aber Luise wusste auch, dass die Früchte in rohem Zustand auf den Magen schlugen. Erst gekocht wurden sie bekömmlich. Jedes Mal, wenn sie unter den weithin leuchtenden Bäumen stand, dachte sie, dass sie irgendwann etwas aus Vogelbeeren kochen würde. Marmelade oder eine Beilage zu dunklem Braten. So lautstark, wie die Vögel sich morgens in den Baumkronen um die roten Früchte stritten, hängten sie sich am späten Nachmittag an die kleinen Trauben im Weinlaub, das bis zu Luises Balkon heraufrankte. Dort führten sie ihre Debatten darüber, wer die besten Beutestücke bekommen sollte, mit unvermindertem Eifer fort. Wenn Luise in der letzten Abendsonne, die Strickjacke um die Schultern gelegt, auf ihrer kleinen Holzbank saß, kommentierte sie das Treiben zwischen den Blättern. Als sie sich zum ersten Mal dabei ertappt hatte, war sie kurz zusammengezuckt und hatte erschrocken den Mund geschlossen. Sie
war sicher, falls Anne jemals erfahren sollte, dass Luise mit den Spatzen redete, würde sie ihr das bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit unter die Nase reiben und

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