Essen mit Freunden - Roman
können dann im Falle eines Falles später gestellt werden«, sagte die Pflegerin, die sich als Schwester Ursula vorgestellt hatte, in einem Ton professioneller Freundlichkeit.
»Im Falle eines Falles«, wiederholte Anne. »Nett ausgedrückt.«
Schwester Ursulas Rücken versteifte sich kaum merklich, dann schloss sie die Zimmertür und bat Anne und Luise, ihr zu den Gemeinschaftsräumen zu folgen. Luise blickte auf die Kunstdrucke an den Wänden und fühlte sich unbehaglich. Insgeheim fragte sie sich, warum sie eigentlich hier gelandet war, anstatt wie geplant auf dem Markt, und warum sie Seniorenheime mittlerweile beinahe magisch anzogen.
»Ich glaube nicht, dass deine Mutter sehr begeistert wäre, ihre siebzig Quadratmeter plus Garten auf zwölfeinhalb zu reduzieren«, flüsterte Anne ihr ins Ohr.
»Unsere Zimmer haben sechzehn Quadratmeter«, korrigierte die Pflegerin, die offensichtlich über ein besseres Gehör verfügte als ihre Bewohner. »Sie sind alle ähnlich geschnitten. Und dies hier ist der Gruppenraum.«
Sie öffnete die nächste Tür zu einer Gemütlichkeit, die Luises gesammelte Vorurteile über ein Seniorenheim bis ins Detail bestätigte. Angefangen von den Beige-Braun-Tönen der Wände und der Sitzgelegenheiten über die unverwüstlichen Monstera-Kübelpflanzen in der Zimmerecke bis hin zum zweckmäÃigen Linoleumboden in einem undefinierbaren Grau. An einem der Tische saà ein Grüppchen Senioren und spielte Mensch-ärgere-dich-nicht. Luise blickte unsicher zu Anne, die nur die Augen verdrehte, während Schwester Ursula auf die Gruppe zusteuerte und ein paar Sätze wechselte.
»Das war unser Spielekreis«, erklärte sie anschlieÃend auf dem Weg in den Speisesaal, wo für die Besucher tatsächlich eine Kaffeetafel aufgebaut war. »In unserem Programm finden Sie noch weitere Gruppen und Freizeitaktivitäten. Wir haben einen Singkreis, einen Lesezirkel und sogar eine Sitzgymnastik-Gruppe.«
»Also ungefähr das, was du dir für deine Mutter vorgestellt hast, oder?« Anne sah Luise durchdringend an und hob die Augenbrauen. Dann wandte sie sich an Schwester Ursula. »Bieten Sie eigentlich auch Tanzkurse für Ihre Senioren an? Tango vielleicht? Oder Salsa?«
»Tango? Nein. Aber wir veranstalten in den Wintermonaten regelmäÃig Tanznachmittage. Einmal im Monat. Das ist zwar etwas schwierig, weil wir sehr wenig männliche Bewohner haben und die, die da sind, nur ungern tanzen. Aber der Zuspruch bei den Damen ist im Allgemeinen sehr groÃ.«
»Ach, das mit dem Tanzpartner wäre für Frau Blum kein Problem. Die hat bereits einen festen. Der dürfte sie hier doch auch besuchen, oder?«
»Zum Tanzen? Natürlich. Gern. Jederzeit.«
»Zum Ãbernachten auch?«
»Anne, hör auf!« Das war das Erste, was Luise seit dem Blick in das Pflegezimmer sagte.
»Aber wieso? Ich dachte, wir sind hier, um uns zu informieren. Du meintest doch, wir sollten die Chance nutzen, vor Ort die wichtigsten Fragen zu klären.«
»Und das haben wir jetzt auch«, sagte Luise scharf. Sie wusste selbst nicht, ob sie schreien oder laut lachen sollte.
»Dann ist es ja gut.« Anne wandte sich nach einem Blick auf ihre Uhr an Schwester Ursula: »Vielen Dank für Ihre Mühe. Das Angebot mit dem Kuchen können wir leider nicht mehr annehmen, denn wir sind schon wesentlich länger hier, als eigentlich geplant war.«
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»Wenn wir nicht schon ewig befreundet wären, müsstest du jetzt sehen, wo du was zu essen bekommst«, sagte Luise, während sie das Risotto umrührte. Ihre Stimme war versöhnlich, ihre Wut auf Anne hatte sich gelegt. Was zum einen dem Abstand geschuldet war, der nun zwischen ihrem Herd und dem Gruppenraum im âºHaus zum Guten Hirtenâ¹ lag, zum anderen hatte sich Anne hinterher bei Luise angemessen zerknirscht für ihre Fragen an Schwester Ursula entschuldigt. Und Entschuldigungen, die mit einer Flasche Prosecco unterstrichen wurden, konnte Luise einfach nicht ablehnen.
»Auf das Leben!«, sagte Anne und reichte ihr ein Glas. »Mögen wir noch lange ohne Pflegebetten auskommen.«
»Und alle, die wir lieben, auch«, ergänzte Luise.
»Was machst du eigentlich mit dem Kram?«, fragte Anne und deutete auf die Info-Zettel aus dem Seniorenheim. »Es ist ja nicht das erste Mal, dass du
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