Essen mit Freunden - Roman
eines Tages entschlieÃen würdest, ein Leben zu führen, das kein Provisorium mehr ist, sondern so rosenrot wie deine Schranktüren und so glänzend wie deine zyklamfarbene Wandverkleidung.«
âHefekuchen
Luise legte den Hörer auf und starrte gedankenverloren zu Svenja, die diese Woche ausnahmsweise an dem zweiten Schreibtisch in Luises Büro arbeitete. Wieder war der Anrufbeantworter am anderen Ende der Leitung angesprungen. Seit gestern Abend hatte sich daran nichts geändert. Die vertraute Stimme ihrer Mutter auf dem Band, die verkündete, Hedda Blum sei gerade nicht zu sprechen und würde sich umgehend melden, sobald sie die Nachricht abgehört hätte. Auch auf dem Handy hatte es Luise am Morgen ein paar Mal probiert, obwohl sie wusste, dass ihre Mutter es so gut wie nie benutzte, weil ihr der Umgang mit Technik Probleme machte. Ihre Mutter nicht erreichen zu können beunruhigte Luise.
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Wehmütig dachte sie an die Zeit, als ihr Vater lebte. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen alle Dinge, die mit Kabeln, Tasten und Strom ausgestattet waren. Abgesehen natürlich von Herd, Mixer und Waschmaschine, für deren Bedienung allein Luises Mutter verantwortlich war. Ihre Eltern hatten sich ohne Diskussionen auf die damals übliche Aufteilung von Bohr- und Nähmaschinen-Terrain geeinigt. Und sie waren offensichtlich glücklich damit gewesen. Für Luise waren sie das perfekte Paar. Kein Streit hatte länger als bis zum Abend gedauert, keine Trennung durch Reisen oder Krankenhausaufenthalte länger als eine Woche. Es hatte keine Affären, keine Eskapaden gegeben. Luise hatte sich nie vorstellen können, dass dieses Miteinander irgendwann einmal ein Ende hätte. Ihre Eltern waren für sie wie zwei Hälften desselben Apfels. Der eine undenkbar ohne den anderen.
Und dann war wie aus heiterem Himmel ein Anruf aus dem Krankenhaus gekommen, an einem Nachmittag im August vor sechs Jahren. Luise konnte noch heute jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede körperliche Regung abrufen. Auch wenn sie die Worte ihrer Mutter am Telefon nicht ganz verstanden hatte, war doch das Wichtigste zu ihr durchgedrungen: Herzinfarkt, Intensivstation, keine genauen Prognosen. Sie hatte sich gewundert, dass sie eine Taubheit spürte, keinen Schmerz, dass sie funktionierte, anstatt zu weinen. Sie hatte sich selbst dabei beobachtet, was sie tat, und hatte alles aus dem Off kommentiert. âºSo, das ist jetzt also die Nachricht, vor der du dich insgeheim immer gefürchtet hastâ¹, hatte sie sich gesagt. âºNun ist es also so weit. Steh auf und pack deine Sachen.â¹ Dann hatte sie eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten gepackt. Ein Anruf bei Jörg, bei Anne, eine Autofahrt über 85 Kilometer, von der sie später nicht mehr
wusste, wie sie diese überhaupt unfallfrei hinter sich gebracht hatte.
Erinnerungsfetzen. Ihre Mutter, plötzlich sehr klein, neben dem Krankenhausbett, ihr Vater so blass wie die Laken. Das Gurgeln in den Schläuchen, das regelmäÃige Fiepen des Herzmonitors, das Quietschen von Schuhen auf dem Krankenhausflur. Das frühe Abendlicht, das durch die Lamellen der Jalousie gefallen war, hatte ein apricotfarbenes Muster in die sterile Farblosigkeit des Zimmers geworfen. Luise hatte wie in magischen Kindergedanken versucht, an den Lichtstreifen abzuzählen, ob ihr Vater überleben würde. Diesen Tag, den nächsten. Ja, nein, ja, nein. Vielleicht, hatten die Ãrzte noch am Nachmittag gesagt. Die Streifen waren über die Bettdecke gewandert, die Sonne untergegangen. Gegen zwei Uhr in der Nacht war dann kein regelmäÃiges Fiepen mehr zu hören gewesen, sondern ein Dauerton, nicht sehr laut und trotzdem schneidend. Dieser Ton hatte Luises Leben in ein Vorher und ein Nachher zerteilt. âºNun ist er fortâ¹, war damals ihr erster Gedanke gewesen. âºNun ist er fort und hat mich im Stich gelassen.â¹ Und noch während sie das dachte, hatte sie sich dafür geschämt.
Die Zeit danach war ihr wie ein SchwarzweiÃfilm in Erinnerung. Die Trauerfeier Anfang September. Bloà die Fassung nicht verlieren und Haltung bewahren. Sie hatte stark sein wollen für ihre Mutter. Dinge regeln, Ãmtersachen klären, eine Hilfe sein. In ihrer Kindheit hatte sie nicht wirklich bedauert, dass es da keinen Bruder oder keine Schwester gab. Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben
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