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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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strahlen sehen. Dennoch war sie nun in Gedanken weit weg. Sie dachte an Hedda und Paul. Wenn Sehnsucht etwas für Feiglinge ist, könnte Glück die Belohnung der Mutigen sein.
    Â»Tut mir leid. Aber du hast recht: Ich bin mit meinen Gedanken woanders – und deshalb muss ich auf der Stelle dorthin gehen, wo ich jetzt eigentlich sein sollte.« Sie drückte seine Hand, kurz, fest, stand auf und ging. Kein Blick zurück.
    Â 
    Luise war spät dran. Sie hatte sich heute Abend Nataschas Auto geliehen, aber nicht bedacht, dass die Innenstadt für das Abschlussfeuerwerk des Kulturfestes gesperrt war und sie sich über Schleichwege und Umleitungen ihren Weg suchen musste. Zwölf nach zehn. Ein Parkplatz, rausgesprungen, abgeschlossen, atemlos vor seiner Haustür. Sie klingelte. Keine Reaktion. Sie klingelte erneut. Ihr Herz raste, das Blut pochte in den Ohren. Spätestens als ihr Zeigefinger ein drittes Mal über der Klingel schwebte, verfluchte sie sich dafür, dass sie hier stand. Vermutlich saß er irgendwo und amüsierte sich über sie. Was hatte sie erwartet? Sie begann zu frieren. Das Kleid mit den Malvenblüten war eindeutig zu dünn. Doch die Sonne am Nachmittag hatte diese Nacht wie etwas Besonderes erscheinen lassen und die Hoffnung auf Unerwartetes und Wunder geschürt. Zu einem Wunder passte dieses Kleid gut. Zu einer verschlossenen Haustür weniger. Fröstelnd zog Luise die Strickjacke über, dann drück
te sie mit aufkeimender Wut den Klingelknopf ein weiteres Mal. Nichts. Kein Rauschen der Gegensprechanlage, kein Summen des Türöffners. Sie ließ die Hand sinken und wollte gerade kehrtmachen, als sie hinter sich ein metallisches Rasseln hörte. Sie trat zur Seite. Eine Frau neben ihr ließ ihren Schlüssel ins Schloss wandern, schob die Tür auf und blickte Luise an.
    Â»Kann ich Ihnen helfen?«
    Â»Ich wollte zu Meerwald«, antwortete Luise.
    Â»Ach, zu Markus.« Die Frau lachte. »Da hätten Sie lange warten können. Seine Klingel funktioniert nicht. Sie hätten es über sein Handy probieren müssen.« Sie hielt ihr die Tür auf.
    Â»Danke«, stammelte Luise, während sie durch den Eingang huschte. Die Klingel, natürlich. Der Vormieter. Irgend so etwas hatte er bei Kahles erzählt.
    Â»Sie müssen hier hoch«, sagte die Frau und deutete auf den vorderen Aufgang, bevor sie in den Hof verschwand.
    Markus wohnte ganz oben. Vierte Etage. Sie nahm die Stufen zum ersten Stock mit Riesenschritten. Ob er überhaupt noch zu Hause war? Schließlich war sie spät dran. Ihre Schritte verlangsamten sich. Im zweiten Stock überlegte sie, warum er eine Zeitspanne und keinen Zeitpunkt für dieses Treffen angegeben hatte. Wären etwa außer ihr noch andere Leute da? Hatte sie etwas falsch verstanden? Sie wurde noch langsamer. Wäre es nicht besser, kehrtzumachen und zu gehen? Eine Stufe, die nächste Stufe. Was aber, wenn nur er da wäre und sie bliebe? Bilder explodierten. Da waren seine Lippen. Zimt und Honig. Seine Hände. Wie würden diese Hände Bänder lösen? Knöpfe öffnen? Sie berühren. Sie bekam Angst. Vor sich selbst. Vor dem, was sie erwartete. Und
wenn alles doch nur Geschichten waren, die er ihr erzählt hatte? Nettigkeiten, um eine Frau zu umgarnen? Je mehr Erfahrung du hast, desto schwieriger wird es. Vertrauen. Als sie schließlich vor seiner Wohnungstür stand, dachte sie gar nichts mehr. Sie war zu beschäftigt damit, ihre Aufregung in den Griff zu bekommen. Ihr rasendes Herz, ihre flatternden Lungenflügel.
    Sie klopfte. Nichts regte sich. Sie klopfte erneut, lauter diesmal. Immer noch keine Reaktion. Sie versuchte, durch den Briefschlitz zu spähen, erkannte aber nichts. Wieder stieg Wut in ihr auf.
    Â»Markus?«, rief sie halblaut. Keine Antwort. Als das Treppenhauslicht erlosch, bemerkte sie ein Leuchten und Schattenspiele auf dem Absatz zum Dach. Langsam stieg sie die Stufen weiter nach oben. Auf dem Sockel standen Kerzen in Einweckgläsern, flackernd im Halbdunkel. Sie stutzte kurz, doch dann verstand sie: Er verließ sich darauf, dass sie anrief, weil die Klingel nicht funktionierte, und dieser Anruf würde ihn überall erreichen.
    Luise folgte den Teelichtern, die vom Treppenabsatz an auf jeder weiteren Stufe standen und eine Lichterspur bildeten, durch die offene Speichertür hindurch auf eine Leiter zu. Der Dachausstieg

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