Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
Klingen sich in Madeleines
Rücken bohrten, aber sie rührte sich sowieso nicht mehr.
Tränen vernebelten ihm die Sicht. Jonah wischte sie
weg und zählte fieberhaft ab, wo die Messer sich ungefähr vergraben hatten. Alle
ziemlich mittig an der Lendenwirbelsäule entlang. Erster und zweiter Wirbel… 5
Skalpelle. Jeder Idiot hätte kapiert, was das für seine Schwester bedeutete.
Falls sie überhaupt noch lebte.
„Nicht schlecht“, spöttelte der gehirnamputierte Gorilla
grinsend und regte Jonah nur noch mehr auf. Nicht schlecht? Nicht schlecht,
Mann?
Jonah bekam keine Luft mehr. Irgendetwas knirschte in
seinem Kopf und er wusste, dass er keine Fähigkeiten brauchen würde, um diesem
Pack die Ärsche aufzureißen.
Zu allererst war die verrückte Schlampe dran, die seinen
Zwilling entweder getötet oder zum Invaliden gemacht hatte. Aber vorher musste
er nach Madeleine sehen.
Rebecca wagte es, in seine Richtung zu schnauben. Er
schluckte ein paar Mal, bevor er sprach.
„Wenn du sie umgebracht hast, dann reiße ich dich in
Stücke.“ Wie auch immer er das anstellte, er kam an ihr vorbei, doch als er
nach seiner Schwester griff und sich gemeinsam mit ihr in Luft auflöste, war Rebecca
Lance ganz bestimmt auch ziemlich überrascht. So wie er selbst.
Nika spürte, dass sie nicht tot war.
Sie konnte nicht tot sein, denn die Kälte war verschwunden.
Warme Heizungsluft streichelte ihre Gesichtshaut und ihre Finger.
Es war nicht ihr eigenes Bett, in dem Nika lag. Sie
roch Spuren eines fremden Waschmittels. Ein anderes Raumklima; die ganze Seide
um sie herum, die Wolle und ein angenehmer Nebel aus Coromandel und einem Hauch
Zedern. Das Elfenschlafzimmer.
Das dominant Süßliche war sicher Blut. Ihr Blut. Es
roch nach ihr. Und das Salzige? Was war das Salzige?
Von etwas weiter weg schwappte etwas Zuckriges heran.
Ein Wald voll Himbeerkopien. In Plastik. Konnte das Teresas
Mickey-Mouse-PEZ-Spender sein?
„Himbeer“, flüsterte sie und versuchte ein Lächeln.
Sie war ganz in der Nähe, ihre Engelselfe. Etwas
weiter entfernt Julians Aftershave. Und irgendwo mittendrin… Daniel.
Das leise knirschende Geräusch von berstendem Eis war mit
einem Schlag so weit weg wie ein Traum. Trotzdem hörte Nika es noch in ihrem
Ohr, viel lauter als den Schuss. Das Eis war aufgebrochen, um sie zu
verschlucken. Nika erinnerte sich daran, langsam versunken zu sein. Die dichte
Decke aus Dunkelheit hatte jeden Schmerz aufgesaugt.
Aber jetzt war Nika froh, dass es doch anders gekommen
war. Sie schlug die Augen auf.
Teresa lag am Fußende des Bettes. Julian hockte in einem
Sessel am Fenster, wippte lautlos mit den Schuhsohlen auf dem Fensterbrett und
tippte in sein iPad. Daniel saß auf dem Boden neben ihrem Bett, das Kinn auf
die Knie gestützt.
Als er ihren Blick spürte, sah er auf.
„Du bist aufgewacht“, bemerkte Teresa. Ihr Lächeln sah
in letzter Zeit nicht glücklich aus.
„Es tut mir so leid, Tess.“ Nika wollte die Hand
ausstrecken und nach ihr greifen, aber ihre Bewegungsfreiheit war eingeschränkt.
In ihrem Handrücken steckte eine Kanüle. Nika stellte fest, dass eine klare
Flüssigkeit durch einen Schlauch in ihre Vene tropfte. Eine Infusion. Das
Enzym? Hatte am Ende doch eine der Essenzen angeschlagen?
Dann war Nika jetzt eine Mischblüterin.
Sie wagte nicht, zu fragen. Julian antwortete
trotzdem, während er weiter tippte.
Ordinäre Kochsalzlösung, dein Körper hat viel
Flüssigkeit verloren. Von jetzt an kannst du dich auch ohne Hilfe regenerieren,
aber zumindest den Start wollten wir dir erleichtern. Das Enzym wirst du nicht
benötigen, mach dir darüber keine Gedanken.
Nika blickte an sich herunter. Gwens wunderbares,
smaragdgrünes Schiaparelli war ruiniert. Natürlich.
Sie berührte die Haut unter der zerfetzen Seide.
Makellos. Es war nicht einmal eine Narbe zu erkennen.
Daniel stand auf und verließ ohne ein einziges Wort
den Raum. Panik machte sich in Nika breit.
„Wo geht er hin?“
„Vergiss ihn“, erklärte Teresa und beugte sich zu ihr.
Sie wischte über Nikas Wangen. „Ruh´ dich aus.“
Ein Stockwerk tiefer hetzte Gwen Miller ins
Wohnzimmer. Die plötzliche Präsenz ihrer Nesthäkchen zog sie ebenso dorthin wie
Jonahs Schluchzen. Gwen ließ sich neben ihren Kindern auf die Knie fallen.
„Theo! Beth! Beeilt euch!“
Eilig zog sie Jonah zu sich herum und strich über sein
Gesicht. Er weinte, aber soweit Gwen es einschätzen konnte, war er unversehrt.
Madeleines
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